LIBRAKY

UNIVERSITY OF

CALIFORNIA SAN DIEGO

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Deutsche Geschichtsblätter

Monsatsschrift

für

Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage

unter Mitwirkung von

Prof. Bachmann-Prag, Prof. Finke-Freiburg i. B., Archivdirektor Prof. Hansen-Köln, Prof. v. Heigel-München, Prof. Henner-Würzburg, Prof. Kossinna-Berlin,

Geh. Archivrat Krieger-Karlsruhe, Prof. Lamprecht-Leipzig, Oberregierungsrat W. Lippert-Dresden, Archivdirektor Prof. M. Mayr-Innsbruck, Archivdirektor Prof. Mell-Graz, Archivrat Merx-Münster i. W.,

Prof. v. Ottenthal-Wien, Prof. Osw. Redlich-Wien, Prof. v. d. Ropp-Marburg, Prof. A. Schulte-Bonn, Geh. Archivrat Sello-Oldenburg,

Geh. Archivrat Wäschke-Zerbst, Prof. Weber-Prag, Prof. Wenck-Marburg, Archivdirektor Witte-Neustrelitz

herausgegeben von

Dr. Armin Tille,

Archivdirektor in Weimar

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XV. Band Fe

Gotha 1914 Friedrich Andreas Perthes A.-G

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Inhalt.

Aufsätze:

Bunzel, Julius (Graz): Aus innerösterreichischen Glaubenskämpfen 187—209 und Fabricius, Wilhelm (Darmstadt): Die Siedlungs- und Bevölkerungsverhält- nisse im ehemaligen Amt Birkenfeld. . . . Hübner, Karl (St. Pölten): Die Brixener Diözesansynoden bis zur Bremen Müller, Johannes (Nürnberg): Die Entstehung der Kreisverfassung Deutsch- lands von 1383 bis ISI2 . .'. 2: 2 a Nell, Martin (Bonn): Die Zandsknechte . ec Soi En Ostwald, Paul (Berlin-Schmargendorf): Quellen und Literäiur zur Geschichte des Ordenslandes Preußen . . . . . , Ostwald, Paul (Berlin-Schmargendorf): Zur Stadtverfassung In Linde Pr Deutschen Ordens Pudor, Wolfgang (Berlin): Byzanz und die EN der Amalianihe Schnepp, Peter (St. Gandolf, Kärnten): Zrwiderung auf den Aufsatz Die Reichsritterschaft von W. Freiherrn v. Waldenfels (Bayreuth) Schwabe, Ernst (Leipzig): Die geistige Entwicklung des gelehrten Schulwesens im protestantischen Mitteldeutschland im XVII. Jahrhundert Stindt, Heinrich (Gotha): Zur Beurteilung Kaiser Heinrichs VI. Strakosch-Grafsmann, Gustav (Wien): Sirdlungs- und Bevölkerungsverhältnisse im ehemaligen Amt Birkenfeld von Wilhelm Fabricius (Darmstadt) Waidenfels, W. Freiherr v. (Bayreuth): Die Reichsritterschaft f Widmann, Hans (Salzburg): Dre Regierung des geistlichen Staates Salz- burg im XVI. Jahrhundert .

Entgegnung auf den Aufsatz Die

Mitteilungen:

Ackerbau und Alpwirtschaft in schweizerischen Hochgebirgstälern (Meyer v. Knonau) . . I Pa

Archive: Dreizehnter deutscher Archivtag 1913 in B real au RN Fürstlich Schwarzburgisches Archiv in Rudolstadt (Bangert) 23— 24; Oberschlesische Archive (Zivier) 24—25; Archivbenutzung für Dissertationszwecke 25; Das Stadtarchiv zu Eger (Reinhold Hofmann) 53—56; Das Stadtarchiv zu Tanger- münde a. d. Elbe (H. H. Rosendorf) 81—84; Vierzehnter deutscher Archivtag in Bregenz (Ankündigung) 262; Das Gräflich Leiningische Archiv zu Westerburg (Oskar Fuchs) 261 —266 ; /nventare der evangelischen Pfarrarchive im Groß- herzoglum Hessen 310—318.

Deutschkunde und Deutschunterricht

Seite 215— 238 5719 85 103 139—169 243—261 27—39 115—122 122—126 169—176 267—290 290— 305 70—78 169—176 1—23 209— 211

109— 11T

Eingegangene Bücher 56, 84, 113— 114, 137—138, 186, 213—214, 24I bis 242, 266, 321—322. Elementarereignisse, Sammlung der Nachrichten über

Seite

50—5I

Flurnamenverzeichnisse: (Beschorner) 111-—-113; (Fehrle) 129 130. Germanen und Indogermanen (Schrader) : 39-41 German'stenverband, Deutscher: Tagung in Marburg Kissen) 109 IlI Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine: Ver-

sammlung 1913 in Breslau 39—46; Versammlung 1914 in

Lindau (Ankündigung) 261—262. Geschichtliche Kartenwerke (Pirchegger, Frhr. v. Karg-Bebenburg) 51-53 Geschichtslehrervereinigung . 56 Geschichtsunterricht in Bayern (Ludwig Wolfram) 306 —- 309 Getreideversorgung der deutschen Alpenländer . 103—109 Hippolytos von Rom (Adolf Baier) TEN ; 45 Historikerversanımlung: dreizehnte 1913 in Wien ; 47—50, 81 Historische Kommissionen: Gesellschaft fur fränkische Geschichte 135

bis 137; Historische Kommission für das Großherzogtum

Hessen 184—186; Gesellschaft für rheiniısche Geschichts-

kunde 211—213. Historisch-geographische Forschung in Deutschland während des letzten

Jabrhunderts (Curschmann) . 41 Imperialismus in England (Friedjung) ; ; 47—48 Internationaler Kongrefs der Archivare und Bibliothekare o (: Aok ndini g) 26, 134 Kaiserurkunde und Kaisergeschichte im XII. Jahrhundert (Hirsch) 45—49 Kardinalkollegium und Papsttum (Lulves) a de i A 51 Konferenz von Vertretern landesgeschichtlicher Publikationsinstitute:

Elfte 1913 in Wien 50—53 Lübeck, Der Ortsname (Fedde) . š j 239 241 Personalien: Nckrolog für Theodor von Kolde erdan) 130—135 Reichsritterschaft (Tille) in. g 318—321 Rückfärbung abgeblzfster Schriftzeichen: 26 Segen- und Beschwörungsformeln. 126—129 Stadtbücher (Relımc) . 42 Stadtgrundrifsforschung (Meier) . 44

Versammlungen: Tagung des Gesamtvereins und ge drekann Bande 1913 in Breslau 23—26, 39-46; Dreizehnte Versammlung deutscher Historiker und elfte Konferenz von Vertretern landes- geschichtlicher Publikationsinstitute 1913 in Wien 47—53, 81T; Tagung des deutschen Germanistenverbands in Marburg 109 bis 111r; Internationaler Kongreß der Archivare und Bibliothe- kare 1915 (Ankündigung) 26, 184; Tagung des Gesamtvereins und des vierzehnten Archivtags in Lindau und Bregenz (Ankündigung) 261 262.

Wiens Stellung in der Kunstgeschichte (Dreger).

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Deutsche Geschichtsblätter

Monatsschrift

Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage

XV. Band Oktober 1913 I. Heft

Die Regierung des geistlichen Staates Salzburg im XVI. Jahrhundert

Von Hans Widmann (Salzburg) !)

Der Sieg des Landesfürstentums über die Stände war im Erz- stifte Salzburg schon seit dem Erzbischofe Leonhard II. (1495—1519) ent- schieden. War ja ohnehin der größte Teil des Volkes, die gesamte Bauernschaft, die hauptsächlich für die Staatslasten aufzukommen hatte, von den Landtagen ausgeschlossen. Nur in einigen dringenden Fällen wurden Abgeordnete der Gerichte, d. h. der bäuerlichen Urbarbesitzer, dazu berufen. Von einer Mitregierung der Stände war in Salzburg schon zu jener Zeit kaum die Rede gewesen, als diese in anderen Ländern die Hauptrolle spielten, um so weniger jetzt, da allerwärts die Fürstenmacht erstarkt war. Die Landtage wurden nur noch zur Bewilligung von Steuern einberufen. Dabei erwiesen sich die beiden ersten Stände, Prälaten und Adel, um so williger, da sie als Privi- legierte sich den geforderten Zahlungen zu entziehen verstanden oder sie auf ihre Grundholden abwälzten. Nur die an Zahl wie Einfluß geringen Vertreter des Bürgerstandes wagten gelegentlich den schüch- ternen Versuch einer Opposition, aber immer erfolglos.

Werfen wir einen Blick auf die Zusammensetzung des Landtages. Den ersten Stand bildeten die Prälaten. Dazu gehörte der Bischof von Chiemsee, die Äbte von St. Peter, Michaelbeuern und Mondsee, solange die Herrschaft Wildeneck dem Stifte verpfändet war (bis 1565), die

ı) In den Jahren 1907 und 1909 sind die ersten beiden Bände der Geschichte Salzburgs von Hans Widmann erschienen, welche die Geschichte des Landes bis 1519 darstellen. Gegenwärtig ist der dritte Band, der bis zum Anfall des Landes an Österreich führt und das Werk abschließt, im Druck. Der vorliegende Aufsatz ist ein Ausschnitt daraus, und zwar im wesentlichen ein Abdruck der Seiten 120—148, aller- dings unter Weglassung der zahlreichen Quellennachweise, wegen deren der Leser auf das Buch selbst verwiesen wird.

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Pröpste von Berchtesgaden (für die im Gebicte des Erzstifts liegenden Besitzungen) und Högelwört, die Äbtissin von Nonnberg und, seit die Mitglieder des Domkapitels, das früher der Dompropst allein vertreten hatte, Weltgeistliche waren (1514), dieser für seine eigene Person und der Domdechant mit einem Kanonikus für das Kapitel. Einmal, unter Georg von Kuenburg (1586—1587), stellte das Kapitel die For- derung, als eigener Landstand angesehen zu werden, wie es z. B. in Köln der Fall war, es drang aber nicht durch. Die genannten Vor- steher der großen Klöster übten keinen bedeutenderen Einfluß aus, bildeten also keinen Damm gegen die selbstherrischen Bestrebungen der Landesfürsten. Das einzige Hemmnis der fürstlichen Selbst- regierung war das Kapitel Nicht nur suchte es durch Wahlkapi- tulationen sich Einfluß auf geistliche und weltliche Angelegenheiten, namentlich in finanziellen Fragen zu sichern, sondern trachtete auch mit uncrmüdlichem Eifer danach, seine Vorrechte zu erweitern und sich nach jeder Richtung Vorteile zuzuwenden.

Das Kapitel hatte 1514 zugunsten Matthäus Langs auf sein Wahlrecht verzichtet, wofür ihm dieser die Aufhebung des Ordens- standes erwirkte. In dem hierüber abgeschlossenen Vertrage, der einer Wahlkapitulation gleichzuachten ist, versprach Lang, ohne Wissen und Willen des auf vierundzwanzig Mitglieder vermehrten Kapitcls keinen Koadjutur aufzunehmen; dies blieb ein ständiger Punkt aller späteren Wahlgedinge, den kein Erzbischof übertrat. In der Wahlkapitulation für Ernst von Bayern, den das Kapitel 1540 vertragsmäßig wählen mußte, forderte es, daß er die Wahlfreiheit durch eine päpstliche Bulle aus- drücklich bestätigen lasse. Zudem verlangte es, daß der Gewählte alle Kosten der Konfirmation in Rom selbst trage; das kehrte auch immer wieder, bei Georg von Kuenburg 1586 mit dem Zusatze, das Kapitel sei nicht einmal verpflichtet, dem Erwählten zu diesem Zwecke ein Darlehen zu gewähren.

Zu den wichtigsten geistlichen Ämtern gehörte das Offizialat und die Kustodie des Domes. Jenes war das oberste geistliche Gericht, diese hatte die Sorge für den Dom, dessen bauliche Erhaltung, Para- mente, Stiftungen und den Gottesdienst unter sich. Von Matthäus wurde nur gefordert, daß er diese Ämter im Einverständnisse mit dem Kapitel mit tauglichen Personen besetze; unter Michael von Kuen- burg (1554) schon, daß er es mit Domherren tue und diesen „ziemliche“ Besoldung gäbe; unter Georg von Kuenburg, daß er die Kustodie mit Renten ausstatte. An diesen letzteren stellte man auch die Forde- rung, das Offizialat und. das Vikariat (die geistliche Stellvertretung des

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kirchlichen Oberhirten) zu reformieren und beide Stellen Domherren zu verleihen; für das erstere Amt sollte er zwei in geistlichen Rechten erfahrene Beisitzer bestellen und besolden; dem Vikariat sollte auch das Protonotariat einverleibt und die Kollation aller geistlicher Lehen und Benefizien übertragen, nichts zur geistlichen Gerichtsbarkeit Gehöriges aber jemals Laien anvertraut werden. Als geistliche Ver- waltungsstelle war 1569 im Anschlusse an die Synode das Kon- sistorium errichtet und zum Teil mit weltlichen Räten besetzt worden. Die Anstellung tauglicher geistlicher Personen bei dieser Behörde wird in den Kapitulationen immer wieder gefordert. Schon bei der Wahl zum Koadjutor (1580) wurde Georg von Kuenburg empfohlen, neben den Ordinaripredigern drei oder vier „Doktoren der Gottesgelahrt- heit“ sowohl zur Mitarbeit im Konsistorium als auch zur Verkündigung des Wortes Gottes anzustellen. Auch sollte er ein Seminar errichten, zu dem das Kapitel einen mäßigen Beitrag leistete. Die Verpflichtung in der gleichen Kapitulation, eine Generalvisitation vorzunehmen, stimmte so ganz zur Gedankenrichtung Georgs, daß sie vielleicht von ihm bean- tragt wurde; eine Unmöglichkeit lag in der Forderung, jährlich in ei- gener Person das Stift zu visitieren; das liegt bei dem so weit aus- gedehnten Sprengel auf der Hand. Begründet mag die Forderung einer besseren Dotierung der Stadtpfarre gewesen sein, die ein Domherr zu versehen hatte. Obwohl dieser einen ‚Nachpfarrer“ hielt, dem die Hauptarbeit zufiel, wollte schließlich kein Kanonikus mehr die Pfarre übernehmen; das Kapitel überließ sie endlich dem Erzbischofe (Wolf Dietrich). In der Kapitulation für Matthäus verwahrte sich das Kapitel gegen die Aufnahme irgendeines Ritter-, regulären oder anderen Ordens; wenn es hier einen bestimmten Fall im Auge hatte !), so kehrte doch diese Bestimmung in allen folgenden Wahlgedingen wieder, obne jedoch streng durchgeführt zu werden; gegen Stiftung kleinerer Klöster durch spätere Erzbischöfe wurde nie eine Einwendung erhoben, aber die Niederlassung von Jesuiten wurde dadurch verhindert.

Noch mehr als auf die geistlichen, suchte das Kapitel auf die weltlichen Angelegenheiten Einfluß zu gewinnen. Ständige Punkte der Kapitulationen betreffen die Mitregierung des Kapitels, vertreten durch zwei Domherren, nach erfolgter Wahl bis zum Einlangen der päpstlichen Bestätigung, was jenem auch nie streitig gemacht wurde, ebensowenig wie die Regierung bei Erledigung des erzbischöflichen

ı) Den von Kaiser Friedrich IL gegründeten St. Georgs-Ritterorden zur Be- kämpfung der Türken.

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Stuhles.. Sie wurde durch mehrere Domherren, die ihren Aufenthalt in der Residenz nahmen und unter denen der Oeconomus, der Ver- walter aller Einkünfte, den ersten Rang hatte, geführt; auch die Befehlshaberstellen der Schlösser Salzburg und Werfen wurden in dieser Zeit Domherren übertragen. Das Kapitel nahm für die Dauer der Sedisvakanz alle Beamten in Pflicht und entließ sie dieser erst nach eingetroffener Bestätigung, wie es auch erst dann dem Erz- bischofe die Schlösser übergab. Dagegen drang es mit der Forde- rung, die Regierung auch im Falle der Abwesenheit des Erzbischofs auf Reichs- oder Kreistagen oder wegen einer Seuche in der Haupt- stadt zu überkommen, nicht durch. Andere stets wiederkehrende Forderungen waren die Erhaltung der katholischen Religion im Lande, die Vergebung der Lehen nur an Katholiken und Landsleute, über- haupt die Beförderung dieser vor Ausländern, die, kein politisches Bündnis ohne Willen des Kapitels einzugehen, die Ämter mit taug- lichen Personen zu besetzen, besonders die Stellen des Kanzlers, Landeshauptmannes, Hofmarschalls und die der Pfleger auf den Haupt- schlössern. In die Bestallungen der Beamten soll immer die Gehor- samsverpflichtung gegen das Kapitel (für den Fall der Sedisvak.ınz) aufgenommen und diesem daher stets eine Abschrift jener übergeben werden. Georg von Kuenburg wurde auch die Erhaltung und Be- richtigung der Landesgrenze und die Haltung zweier oder mehrerer Hauptleute, die er auch im Hofrate gebrauchen möge, zur Pflicht ge- macht. Auch die Anstellung von Gegenschreibern (Kontrolicuren) bei allen zur Rechnungsablegung verpflichteten Ämtern wurde ihm vorgeschrieben. Um dem Nepotismus der Erzbischöfe einen Damm zu setzen, fand seit Michael (1554) die Bestimmung Aufnahme, daß der Erzbischof die Pflegen nur auf einen Leib vergäbe, unter Johann Jakob (1560—1586), daß er heimfallende Güter, Gülten und Zehnte nicht an „Freunde“ (d. h. Verwandte) übertrage, sondern für das Stift erwerbe und dabei bleiben lasse. Immer wiederholt sich seit Lang der Auftrag, den Salzverträgen mit Bayern die möglichste Sorg- falt zuzuwenden, den von Lang ausgestellten Revers, eine Preis- steigerung des Salzes nur mit Einwilligung des Herzogs von Bayern vorzunehmen, rückgängig zu machen, die Gerichtsbarkeit und die Ein- künfte in und um Mühldorf dem Stift zu erhalten, endlich eine neue Landesordnung zu machen.

Wie sich das Kapitel in eigentlichen Regierungshandlungen Einfluß zu wahren versuchte, so tat es dies, und zwar mit besserem Erfolge, in Geldangelegenheiten. Schon Ernst von Bayern wurde 1540 die Ab-

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zahlung der im Bauernkriege gemachten Schulden anempfohlen; von Michael wurde gefordert, daß er von der Staatsschuld jährlich 5000 Gulden tilge. Immer kehrt die Bestimmung wieder, daß der Landesfürst ohne Einwilligung des Kapitels keine Gelder aufnähme eine Bestimmung, die auch stets gehalten wurde. Als Kaiser Maxi- milian II. 1565 die verpfändeten Gebiete Gmünd, Pettau und Wildeneck eingelöst hatte, forderte das Kapitel die Verwendung der Einlösungs- summe zur Schuldentilgung oder deren verzinsliche Anlage mit seinem Wissen und Willen. Georg wurde die Bildung eines „Schatzes‘ vor- geschrieben, in den er jährlich etwas hinterlegen sollte; einen Schlüssel zur Schatztruhe sollte das Kapitel haben, ohne dessen Ein- willigung nichts von dem angesammelten Gelde verwendet werden dürfe. Seit Michael ist auch die Forderung, das Stift mit keiner „Pension“ (jährlicher Zahlung für ein abgelöstes Recht oder dgl.) zu beschweren, ständig. Schon Ernst mußte nach einem Kapitel- beschlusse von 1542 zwei Domherren in den Rat aufnehmen und ihnen Ratsbesoldung zahlen und, falls er sie auch zu Kammerhand- lungen, d. h. in der Finanzverwaltung, gebrauchen wolle, sie sich eidlich verpflichten. Das gleiche wurde von Michael gefordert, unter Georg aber schon die Bestellung von vier Kapitularen zu Kammer- räten mit entsprechender Besoldung.

„Der Gewählte möge sich die Ehre und den Nutzen des Kapitels empfohlen sein lassen‘ ist seit Michael eine stets wiederkehrende Formel in den Kapitulationen. An beiden scheinen wirklich die Herren nie genug gehabt zu haben. Schon von dem eben Genannten verlangten sie, daß cr die Bischofsstühle von Seckau, Lavant und Chiemsee stets mit Kapitularen besetze. Aber manchmal scheinen sich diese nicht allzu eifrig darum beworben zu haben; als 1570 Lavant erledigt war, wollte es keiner annehmen. Die Forderung nach den obersten Staatsämtern wird auch erst 1587 erhoben. Desto unersättlicher war das Kapitel auf seinen Nutzen bedacht. Schon Matthäus hatte ihm jährlich zur Erhöhung der Einkünfte 1000 Gulden zugesagt und dafür die Herrschaft Windischmatrei und Schloß Kien- burg, jedoch mit Ausnahme der landesfürstlichen Hoheit, der Wal- dungen und der hohen Jagd übergeben. Sie wurden 1527 zur be- sonderen Dotation des Dompropstes bestimmt. Ernst mußte noch einmal aus den Kammergefällen 1000 Gulden dem Kapitel überweisen, Michael ebensoviel, die er auf die Saline Hallein verschrieb;, er hatte die Summe zwar nur für seine Lebenszeit versprochen, sie blieb aber dem Kapitel als beständige Rente aus der genannten Quelle. Georg

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versprach wieder 1000 Gulden als Zuschuß zu den ‚„Chorpräsenzen“ (Zahlungen für Besuch des Chors) und weitere 1000 zu den Gesamt- einkünften. Damals forderte das Kapitel im Wahlgedinge 4000 Gulden aus der Hinterlassenschaft des Erzbischofs, falls diese 100000 Gulden übersteige. Außerdem mußte er versprechen, nie die Ablösung der Herrschaft Windischmatrei zu versuchen und die Pfarre dieses Marktes dem Kapitel einzuverleiben. Nebenbei sei erwähnt, daß er ihm eine Mühle in Grödig und jährlich sechs Hirsche bewilligte. Außerdem verlangten die Domherren auch die Verleihung der besten, d. h. ein- träglichsten Pfarren und Benefizien, damit sie lieber Residenz hielten, die Residenzpflicht betrug aber nur 21 Wochen und 5 Tage!

Das Kapitel hatte auch die niedere Gerichtsbarkeit über alle seine Angehörigen und Grundholden; der Domdechant hatte sie aus- zuüben, wobei ihm ein Domurbarrichter, später Kapitelsyndikus ge- nannt, und ein Domschreiber zur Seite standen. Über die Unter- tanen im Lungau richtete sein Pfleger in Mauterndorf, welche Stelle ausnahmsweise auch ein Domherr innehatte. Über diese Gerichts- barkeit wachte es ängstlich und beabsichtigte in einem bestimmten Falle ihretwegen bei dem Konzile in Trient Vorstellungen zu machen. Unter Michael wurde die Gerichtsbarkeit dahin festgestellt, daß sie sich über alle Domherren, ihre verpflichteten Kapläne, Diener und Ehehalten, auch alle Personen des Chors, deren Verlassenschaft, Habe und Güter erstrecke; das Kapitel verlangte Freiung von dem erz- bischöflichen Gerichte zwischen den zwei Toren in Dom- und Schul- hof, auch allen seinen Häusern außerhalb dieses Bezirkes. Über die Untertanen übte es alle Rechte einer Hofmark aus: Inventur bei Todesfällen, Vormundschaftsbestellung, Siegelung der Rechtsurkunden, Verfügung gemeiner Urbarialstrafen. Das Kapitel genoß natürlich Steuerfreiheit, mußte aber zugeben, daß auch seine Urbarleute der allgemeinen Steuer unterworfen wurden; doch hatten sie Befreiung vom Robot außer für Schloßbauten oder bei Landesnot.

Für die Stellung des Kapitels zum Erzbischofe ist der Satz in der Wahlkapitulation von 1560 bezeichnend: kein Domherr soll vom Erzbischofe angehalten werden, ihm gegen das Kapitel direkt oder indirekt Hilfe zu leisten. Wir dürfen daraus wohl schließen, daß sich der jeweilige Erzbischof eine Partei im Kapitel zu sichern suchte, wo- gegen dieses sich vorsehen wollte. Vielleicht hängt dies auch mit der Entstehung der Kapitulationen zusammen. Sie wurden während der Sedisvakanz von mehreren damit beauftragten Domherren entworfen, in einer Kapitelversammlung geprüft und, falls sie angenommen wurden,

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von allen Mitgliedern beschworen, gesiegelt und unterschrieben, also auch von jenem, das aus der Wahl als Erzbischof hervorging. So- fort nach der Wahl mußte dieses die Kapitulation unter seinem Familiensiegel bestätigen und das Versprechen abgeben, es nach Ein- treffen der päpstlichen Bestätigung nochmals unter dem erzbischöflichen Siegel zu tun. So hatte jeder Erzbischof selbst mitgeholfen, sich an Verpflichtungen zu binden, deren Erfüllung ihm schwer genug fiel, namentlich die der finanziellen. Schon Ernst machte mit der An- weisung der versprochenen 1000 Gulden Schwierigkeiten; die Dom- herren hätten dafür gerne eine Domäne gehabt, der Administrator ging darauf nicht ein, sondern sicherte sie ihnen durch eine Ver- schreibung auf den Salzaufschlag. Johann Jakob verzögerte die Be- stätigung und Herausgabe der Kapitulation, obwohl sie Papst Pius IV. 1561 anerkannte. Noch zwei Jahre nach der Wahl hatte er sie dem Kapitel nicht übergeben, obwohl dieses sie öfter verlangte; er pro- testierte vielmehr dagegen, „da sie ihm bei gemeiner Landschaft ver- weislich sein könnte“. Im Jänner 1563 drang das Kapitel wieder auf Herausgabe, im Juli d. J. beschloß es, daß täglich zwei Domherren beim Erzbischofe persönlich darum anhalten sollten. Aber noch immer erhielt es das Gewünschte nicht. Im März 1564 rügte der Erzbischof schriftlich und mündlich durch seine Räte Dr. Sebastian Höflinger und Christoph Perner die Domherren wegen ihres ungeist- lichen Lebens. Das Kapitel nahm den Tadel mit dem Versprechen der Besserung hin, protestierte aber zugleich gegen die Ausdehnung der neuen Waldordnung auf die kapitelschen Gehölze, bat um neuer- liche Zahlung der von den Erzbischöfen Ernst und Michael zugesagten 2000 Gulden und verlangte wieder die endliche Übergabe der be- stätigten Kapitulation. Da der Erzbischof mit der Aushändigung noch immer zögerte, beschlossen die Domherren, dem Kammersekretär Löscher eine Belohnung zu versprechen, wenn er die Übergabe durch- setze. Am 23. Jänner 1566 hatte das Kapitel durch ihn endlich sein Ziel erreicht; es ‚„verehrte‘‘ dem Sekretär dafür 20, der Kanzlei 8 Taler. Georg von Kuenburg hatte schon bei seiner Wahl zum Koadjutor eine Kapitulation unterzeichnet. Als er wirklich gewählt worden war, protestierte er dagegen in einem ausführlichen Schreiben an den Nuntius Ninguarda; sein Sekretär Dr. Fickler hatte es verfaßt. Der Inhalt ist bemerkenswert. Zunächst erfahren wir, daß Georg beim Kapitel nur um einen achttägigen Aufschub der Bestätigung ansuchte, der ihm abgeschlagen wurde, da im Instrumente selbst die Bestätigung binnen fünf Tagen und nach Besitznahme des Erzstuhles neuerdings

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unter dem erzbischöflichen Siegel vorgeschrieben war. Der weitere Inhalt des Schreibens erklärt eine Inskription (d. i. ein anderer Ausdruck für Wahlkapitulation) nach kanonischem und kaiscrlichem Rechte als unverbindlich, wie überhaupt alle Verfügungen des Ka- pitels bei Erledigung des Stuhles, falls der zukünftige Erzbischof sie nicht ausdrücklich bestätige; ein von diesem auf die Kapitulation geleisteter Eid sei von selbst wirkungslos. Dem Kapitel wird ge- radezu vorgeworfen, gegen das allgemeine Beste von den Erz- bischöfen Gelder herausgelockt oder eigentlich erpreßt zu haben. Beachtenswert ist die Beschuldigung, es habe sich nach dem Tode Michaels heimlich, ohne Zustimmung der Stände und des apostolischen Stuhles einer Summe von 60000 Gulden bemächtigt; auch lasse es beim Tode eines Erzbischofs jedem seiner Mitglieder aus dessen Nachlaß 1000 Gulden auszahlen. Auch ihre hergebrachte Mitregierung bis zum Eintreffen der Konfirmationsbulle sei ein Mißbrauch. Die Dumbherren wollen, heißt es weiter, „daß der Erzbischof gleichsam ihr Esel sei, dem sie an Lasten aufbürden, was sie wollen, den sie hintreiben, wohin sie wollen“. Den Geldforderungen des Kapitels gegenüber wird bemerkt, die Einkünfte des Stiftes seien so gering, daß sich jährlich ein Defizit von mehreren tausend Gulden zeige; über 100000 Gulden Schulden müßten verzinst werden; die Beamten ver- langten wegen der Teuerung der Lebensmittel höhere Besoldung; alle Kosten für Visitationen in der weitausgedehnten Diözese lasteten auf dem Erzbischof, ebenso die für das Seminar in der Hauptstadt und das Konsistorium. Dazu kämen die Reichssteuern für die Türken- kriege, die Beiträge zum Reichskammergericht, zum Landsberger Bund and zum bayerischen Kreis. Die Güter in Österreich unterlägen noch ımmer der Doppelbesteuerung !). Bauten für die Saline, die Berg- werke und den Uferschutz der Salzach würden immer notwendiger, besonders seit den großen Überschwemmungen von 1562 und 1567, ebenso Schloßbauten, namentlich neue Gefängnisse bei den Pfleg- gerichten, wozu die Bosheit der Menschen zwänge. Gar nicht er- wähnen wolle man die Almosen an Einheimische und Fremde, wohl aber müsse des Aufwandes bei Reisen des Erzbischofs zu Reichs- und Kreistagen oder seiner Gesandten zu diesen gedacht werden. Sollten die Kapitularen übrigens beim Papste Beschwerde führen wollen, möge dieser den Erzbischof zuerst hören. Die Kapitularen

1) Sie warden bei der Berechnung der Reichsbedürfnisse als Teile des Erzstifts

betrachtet, aber auch von den österreichischen Landesfürsten zu dem gleichen Zwecke besteuert,

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wollten selbst den Gottesdienst nur fördern, wenn es auf Kosten des Erzbischofs gehe. Eine weitere Vermehrung des kapitelschen Ein- kommens sei nicht nötig. Ein einfacher Kanonikus beziehe jährlich 700 Gulden ohne das Einkommen aus den Benefizien zu rechnen; das sei für einen Müßiggänger genug. Früher, als auch schon Grafen und Freiherren Kanonikate innegehabt hätten, hätte ein Domherr bei beständiger Residenz mit 400 Gulden zufrieden sein müssen. Was dic Zuwendungen der Erzbischöfe an ihre Verwandten betreffe, so stche nicht fest, daß solche auch in Zukunft gewährt würden, da jenes weder vom Erzbischofe Michael behauptet werden könne, noch gegen- wärtig geübt werde. Übrigens raubten die Kanoniker bei einem Tod- falle des Erzbischofs, was die Verwandten nicht nähmen. Den Schluß bildet die Bitte um Aufhebung der Kapitulation oder Enthebung von der Würde. Es geschah weder das eine, noch das andere: Georg mußte sich schließlich den Bedingungen der Kapitulation fügen. Nach seinem Tode steigerten die Domherren noch ihre Ansprüche, bis endlich der päpstliche Stuhl 1695 alle Wahlkapitulationen aufhob.

Das Kapitel hatte dem Erzbischofe Gehorsam und Reverenz zu geloben. Für das Bewußtsein seiner Stellung ist bezeichnend, daß es sich weigerte, dieses gegen Ernst von Bayern öffentlich zu tun, sondern in seiner Sitzung vom 27. September 1540 beschloß, ihm das Gelöbnis nur im geheimen vor einigen Räten abzulegen. Dabei wird es auch in Zukunft geblieben sein. Nur eine Aufmerksamkeit erwies es dem Oberhirten: es reichte ihm zu Neujahr eine Ehrung von sechs „Goldkronen‘; der Dompropst hatte ihm jährlich am

Weihnachtsabende eine solche von vier Dukaten zu geben. Be- = merkenswert ist, daß das Kapitel noch immer das Spolienrecht aus- übte, indem es auf die Kleider des verstorbenen Erzbischofs Ansprüche erhob. Die Verhandlungen über die Kleiderteilung zogen sich oft lange hin und führten manchmal zu Mißhelligkeiten.

Die Stellen im Kapitel wurden von diesem selbst vergeben. Nur hatten der Kaiser und der Erzbischof das Recht der „ersten Bitte“ (primae preces). Letzterer hatte auch die Befugnis, die in den päpst- lichen Monaten erledigten und dem Papste zur Besetzung vorbehaltenen Kanonikate zu verleihen. Alle anderen vergab das Kapitel mit Stimmen- mehrheit. Häufig kommen Bitten um Kanonikate vor, selbst von den höchsten Herrschaften, wie dem Kaiserhause und den pfründen- hungrigen bayerischen Herzögen, deren Prinzen jeweilig Domherrn- stellen innehatten. Exspektanzen erteilte das Kapitel jedoch nicht. Der Aufzunehmende mußte ein Alter von wenigstens vierzehn Jahren

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haben; er führte bis zur wirklichen Verleihung von Sitz und Stimme die Bezeichnung Domizellar. Seinen Adel mußte er durch Vorlage einer Ahnentafel und deren Beschwörung durch adelige Landsleute erweisen; in dieser Zeit begnügte man sich noch mit acht von Vater- und Mutterscite adeligen Ahnen, die sogar nur dem Ritterstande an- gehören durften. Die Bestimmung des Konstanzer Konzils, wonach an jedem Domstifte einige Stellen Graduierten vorbehalten waren, wurde in Salzburg vielleicht einige Zcit, aber keineswegs länger als bis 1514 eingehalten. Nur einmal wurde von der Adeisprobe cine Ausnahme gemacht; im Statute von 1531 wurde auf Ansuchen des Kardinals Lang die Aufnahme von Mitgliedern seiner Familie ohne solche festgesetzt. Der Domizellar hatte zunächst sein Präscenzjahr zu leisten, worauf er gewöhnlich seine Studien an einer Universität begann oder fortsetzte; erst wenn er das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und das Statutengeld bezahlt hatte, erhielt er Sitz und Stimme im Kapitel und trat in den Genuß der vollen Präbende. Das erreichte Alter wurde in ähnlicher Weise wie der Adel erwiesen.

Auch seine Würdenträger wählte das Kapitel selbst. Die erste Dignität war die des Dompropstes, der einst, als das Kapitel im Ordens- stande lebte, es allein nach außen vertrat. Er genoß schon damals eine eigene Dotation, die nach der Umgestaltung des Kapitels unter Lang bedeutend erhöht wurde. Jeder nceugewählte Dompropst hob von seinen und den kapitelschen Grundholden eine Weihsteuer ein; die Hälfte der eingegangenen Summe nach Abzug der an den päpst- lichen Stuhl zu zahlenden Annaten gebührt jedoch dem Kapitel. Die nächste Würde war die des Dechanten. Auch er erlangt: seine Stelle durch Wahl, hatte eigene Dotation und hob beim Antritte des Amtes, aber nur von seinen eigenen Urbarlsuten, eine Weihst:uer ein; ferner genoß er die doppelte Präbende eines Priester-Domherrn, wofür er aber doppelte Residenzzeit, 244 Tage, zu halten hatte. Andere Ämter waren das des Oblaiars, des Kustos, des Scholastikus, des Kantors und des Spitalmeisters. Die drei ersten bestanden sciion im alten Domkapitel und behielten ihre Amtstätigkeit bei; die des Kantors und Spitalmeisters wurden im XVII. Jahrhundert mit der Dechantei vereinigt. Nur ein Amt, das der Anwaltschaft, d. h. der Vermögens- verwaltung des Kapitels, wechselte unter den einzelnen Domherren häufig. Die Einkünfte der einzelnen Stellen lassen sich nicht genau feststellen; nach jenem oben angeführten Schreiben Georgs von Kuenburg an Ninguarda betrug das Einkommen eines Dombertn, ohne andere Benefizien zu rechnen, 700 Gulden. Sie bestanden außer in

Geld auch in Naturalien, Getreide, Wein, Fischen, Wildbret. Bei nicht stimmberechtigten Domizellaren waren sie geringer, da die Präsenz- gelder für Chor, Gottesdienste und Kapitelsitzungen wegfielen.

Das Kapitel erhielt nach der Säkularisation Statuten von Matthäus 1527 und erneuerte 1531; später behauptete es das Recht, sich solche selbst zu geben oder die bestehenden zu ändern. Über seine Mit- glieder besaß es die Disziplinargerichtsbarkeit. Strafen waren Ent- ziehung der Präsenzgelder, teilweise oder gänzliche Einstellung der Pfründenbezüge und Ausschließung. Ein Fall der letzten, schwersten Strafe war die Absetzung des Dechanten Trautmannsdorf 1581. Die Versammlungen der Domherren, die Kapitel, fanden anfangs im Chor der Domkirche statt; erst 1545 erfahren wir vom Bau einer Kapitel- stube. In der Regel wurde alle Woche eins abgehalten. Wichtige Angelegenheiten wurden in sogenannten Percmptorialkapiteln behandelt, wozu alle Domherren, auch die außerhalb Salzburgs lebenden, ein- geladen wurden und bei Strafe ohne triftigen Grund nicht ausbleiben durften. |

Der zweite Landstand war die Ritterschaft. Sie umfaßte 1494 noch 73 Familien, war aber 1592 bereits auf 29 gesunken und hatte nicht so bedeutende Rechte wie anderwärts. Nur wenige Adelssitze erfreuten sich der Hofmarksgerechtigkeit, d. h. der niederen Gerichts- barkeit, so die der Inhaber der vier Erbämter, 1494 der Nußdorf, Thurn, Alben und Wiesbach, 1592 anstatt der ausgestorbenen zwei letzteren der Tannhausen und Kuen-Belasi, außerdem die der Törring (bei Tittmoning) und der Überacker zu Sieghartstein (sö. Neumarkt). Die Vorrechte des Adels in den Nachbarländern, namentlich in Bayern, veranlaßten die salzburgisehen Landsleute bereits am ı9. Juli 1554, drei Tage nach der Resignation Ernsts, an das Domkapitel cine Bittschrift zu richten, ihre Wünsche in die Wahlkapitulation aufzu- nehmen. Diese waren Gewährung der gleichen Rechte und Privilegien, wie sie der bayerische Adel genieße; Besetzung der Hofratsstellen mit mehr Landsleuten als Doktoren und fremden Räten; Vorbehalt der Stellen bei Hofe, der Pflegen und der Hauptmannschaft auf Hoben- salzburg für Landsleute; ohne Erfüllung dieser Fo:derungen würden sie die Huldigung nicht leisten. Das Kapitel gab nur zur Antwort, der künftige Erzbischof werde jedenfalls ihre Beschwerden bedenken. Erzbischof Michael machte der Ritterschaft erst im Dezember das geringe Zugeständnis, daß er das Hauptschloß immer mit einem Landsmann besetzen und von Landslcuten erkaufte Beutellehen in Ritterlehen umwandeln werde. Alle anderen Forderungen überging

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er mit Stillschweigen. Nach Michaels Tode wiederholte der Adel seine Forderungen, aber auch diesmal umsonst, obwohl sich der Prälatenstand mit ihm verbunden hatte, der besonders Schutz vor den Angriffen der Pfleger und Landrichter auf seine Freiheiten erbat. Johann Jakob trennte das Bündnis und bewog den Prälatenstand ihm die Huldigung zu leisten, worauf er sich um die Wünsche des Adels nicht weiter kümmerte. Es ist wohl als Beweis der geringen Festig- keit dieses zu deuten, wenn beim feierlichen Einritte des Neugewählten auch nicht einer der Edelleute fehite und sie am 18. Februar, dem Tage danach, gegen das Versprechen, ihre Beschwerden auf einem künftigen Landtage abzutun, huldigten. Als aber Johann Jakob sein Versprechen nicht hielt und durch Ausstattung seiner Verwandten mit Ämtern die Landsleute noch mehr erbitterte, verbanden sich die Stände nochmals und überreichten ihm eine Beschwerdeschrift mit der Drohung, im Falle der Nichtbeachtung den Rechtsweg beim kaiser- lichen Hofrate beschreiten zu wollen. Daraufhin bewilligte der Fürst dem Ritterstande die Inventur (Nachlaßaufnahme) seiner Grundholden und die Siegelung der bezüglichen Urkunden ohne Beizichung der landesfürstlichen Gerichte, die Aufstellung von Vormündern und die Robotfreiheit für seine Untertanen, außer sie beträfen des Landes Nutzen und Notwendigkeit. Damit ließ sich der Adel befriedigen. Aber noch einmal trat er 1586 mit Forderungen auf, die er am 7. Oktober, dem Tage nach Georgs Eintritt, übergab. Sie betrafen besonders die niedere Gerichtsbarkeit. Auf Anraten des Kapitels verweigerte ihnen der Erzbischof diese in einer Entschließung, in der er scine Gerichtshoheit scharf betonte, wogegen er die von seinem Vorgänger bewilligten Rechte bestätigte. Das Schreiben datiert vom 17. Jänner 1587. Bereits am 25. Jänner verschied er. Sein Nach- folger Wolf Dietrich (1587 1611) machte den Forderungen aler Stände ein Ende.

War schon die Opposition der Prälaten und des Adels gegen die fürstliche Selbstregierung ergebnislos, so konnte sie bei den Vertretern der sechs Städte des Landes noch weniger auf Erfolg rechnen. Wir hören denn auch nur einmal von einem schwachen Versuche. Die Kraft des Bürgerstandes, besonders des eigentlich allein etwas be- deutenden in der Hauptstadt, war seit dem Durchdringen der Gegen- reformation gebrochen. So kam es, daß die Stände sich „, gehorsamst“ auf Befehl des Fürsten versammelten und, „um untertänigen Willen zu erzeigen“, zu allen Geldforderungen ihre Zustimmung gaben; höchstens wagten sie ein- oder andermal ihre Meinung unter dem

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Titel „eines ratsamen Bedenkens‘“ zu äußern. Sie besaßen nicht ein- mal einen eigenen Ort der Zusammenkunft, keine Beamten, kein Archiv: erst 1543 erboten sie sich, einen eigenen Schreiber zu halten. Allgemeine Landtage fanden überhaupt nicht allzu häufig statt; meistens wurde nur der Ausschuß berufen, bei wichtigen Sachen der große, sonst der kleine. Im großen, schon 1525 erwähnt, saßen 4 Prälaten, 8 Edelleute und 4 Bürger, im kleinen 2 Prälaten, 4 Edelleute‘ und ı Bürger. Wie sollten diese gegen die juristisch gebildeten, klugen und ganz den Intentionen ihrer Herren ergebenen erzbischöflichen Räte aufkommen? Sie konnten nur bewilligen und Geld herbeischaffen, sonst waren sie einflußlos. Dies muß hier um so mehr bemerkt werden, als man Wolf Dietrich aus der Nichteinberufung der Stände den schwersten Vorwurf gemacht, Paris Lodron wegen der Wieder- herstellung der Landschaft allzu großes Lob gespendet hat.

Das hauptsächlichste Regierungsorgan war auch in dieser Zeit der Hofrat. Er behielt bis 1561 seine alte Zusammensetzung aus geistlichen und weltlichen Räten. In diesem Jahre reorganisierte ihn Johann Jakob und bestimmte das Amtspersonal: einen Kanzler und einen Kanzleiverwalter als dessen Stellvertreter, einen Protonotar, einen Sekretär, einen Gerichtsschreiber, einen Taxator und Registrator, sechs bis sieben geschworene Schreiber, von denen mehrcre der lateinischen Sprache mächtig sein sollen, und einen „Kanzleipueben“. Als stän- dige Beisitzer werden der Hofrichter und der Marschall genannt. Dem Bischofe von Chiemsee, dem Abte von St. Peter und anderen Prä- laten, dem Domdechanten und den Domherren war es freigegeben, im Hofrate zu erscheinen und ihre Stimmen auf die an sie kommende Umfrage abzugeben. Der Protonotar versah auch das Amt eines Lehenspropstes. Die Taxen mußten vierteljährlich bei der Kammer verrechnet werden; die „JIrinkgelder‘ hatte der Taxator am Schlusse des Jahres mit Vorwissen des Fürsten an die Schreiber je nach ihrer Geschicklichkeit und ihrem Fleiße zu verteilen. Ihm lag auch die Versorgung der Kanzlei mit Papier, Pergament, rotem und gelbem Wachse, Hanf- oder Seidenschnüren und Siegelkapseln ob. Der Ge- schäftskreis des Hofrates umfaßte mannigfaltige Gegenstände: alle geist- lichen und weltlichen Lehenssachen; das Bergwesen, wozu der Kammer- meister und andere im Bergfache erfahrene Räte zu berufen waren; die Verwaltung im weiteren Sinne, z. B. die Evidenzhaltung aller Privilegien, der erblichen Handwerke, Salzschenkungen an Klöster usw.; er hatte alle schriftlichen Mandate, Patente, Befehle zu konzipieren, dem Erzbischofe zur Approbation vorzulegen und zu veröffentlichen.

In Angelegenheiten der fürstlichen Kammer verstärkte er sich durch den Kammermeister und Kammerräte. In Abwesenheit des Erzbischo‘'s war er die eigentlich regierende Behörde, konnte alle Briefe aufmachen und beantworten, Gesandte empfangen, im Falle der Not sogar den Landtag einberufen; in solcher Zeit durften sich die Mitglieder des Titels „Statthalter und Räte“ bedienen. Alle Angelegenheiten wurden durch Umfrage erledigt, die der Marschall zu tun hatte. Der Hofrat bildete zugleich die geheime Kanzlei für alle Staats- und Kabinetts- geschäfte, namentlich die Reichs- und Kreistagsverhandlungen. Eine bedeutende Vermehrung seiner Agenden erhielt er 1588 durch die Übertragung der Revision der Urteile über schwere Verbrechen (Ma- lefiızfällce); dadurch wurde die Wirksamkeit des Landeshauptmannes, wie sie die „Ordnung der Hauptmannschaft‘‘ Matthäus Langs 1533 bestimmt hatte, wesentlich eingeschränkt. Ob diese Vereinigung von Verwal- tung und Justiz gerade einen Fortschritt bedeutete, mag dahingestellt bleiben. Übrigens fand sie auch in den Pflegen statt, denen dazu auch militärische Angelegenheiten oblagen. Bedeutsam ist die voll- ständige Durchführung der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 im Eiızstifte seit 1576, die fortan ausschließlich Geltung hatte. Ihre Beobachtung wurde nochmals am 17. Juni 1585 einge- schärft, mit dem Befehle an alle Pfleger, sie den Gerichtsbeisitzern und Fürsprechern (Prokuratoren) öfter vorzulesen. Denn die , Bank“ oder das „Stillrecht‘‘ wurde noch immer mit Bürgern oder Bauern besetzt, die, wie in alter Zeit, das eigentliche Urteil auszusprechen hatten. Durch den gleichen Befehl wurde den Rechtsprechern ver- boten, Übeltäter zu begnadigen, selbst wenn diese lange im Gefängnisse gesessen hätten, Weiber und Kinder für sie bäten, sie den Schaden gutmachten und die „Atzung‘“ (Gefängniskost) sowie die Gerichtskosten bezahlten. Statt wie nach der Verfügung von 1533 beim Hauptmanne, war jetzt seit 1561 die Erlaubnis zur Vornahme der „peinlichen Frage“ von dem Pflegerichter beim Hofrate einzuholen. War über einen Verbrecher das Todesurteil ausgesprochen, hatte dies ein eigener Bannrichter zu verkünden, der jedoch kein Beamter war.

Die oberste Finanzstelle war das Kammermeisteramt oder die Hofkammer. Ihre Ausbildung erlangte sie unter Erzbischof Matthäus. Anstatt eines Geistlichen stand seit dieser Zeit ein Laie an ihrer Spitze; daß der Domherr Georg von Kuenburg von 1570 bis zu seiner Wahl zum Koadjutor als Kammermeister bestellt war, bildete eine Ausnahme. Schon seit 1536 finden sich auch Kammerräte genannt, ebenso Taxa- toren, Registratoren und Prokuratoren oder Advokaten. Die Geschäfte

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der Kammer umfaßten das ganze Gebiet des Finanzwesens mit Aus- nahme der Münze. Die Haupteinnahmen des Stiftes bildeten wie früher die Bergwerksprodukte, namentlich das Salz, während die Aus- beute an Edelmetallen nach einem ganz bedeutenden Aufschwunge unter der Regierung Ernsts wieder sank, die Steuern, die Mauten und Zölle und die Urbargefälle der auf fürstlichem Grund und Boden sitzenden Bauern. Die Höhe der gesamten Einnahmen zu bestimmen, ist kaum schätzungsweise möglich. Sie dürfte sich etwa auf 300000 Taler be- laufen haben. Über die Ausgaben liegen nur ganz zerstreute Notizen vor; sie dürften oft genug die Einnahmen überstiegen haben, nament- lich weil Staats- und Hofausgaben nicht geschieden waren. Über Stantsschulden seit Matthäus Lang vernehmen wir manches; noch Ernst klagte über das „verderbte Stift“; aus dem S. 7 angezo- genen Schreiben Georg von Kuenburgs an Ninguarda erfahren wir, daß um 1580 die Schulden 100000 Gulden betrugen; Georg mußte es als „gewesener Kammermeister‘“ wohl wissen. Daß die Auslagen für Reich, Kreis, Landsberger Bund usw. namhafte Summen erforderten, werden 'wir ihm auch glauben, wenn sich gleich deren jedenfalls wechselnde Höhe nicht angeben läßt. Doch konnten sparsame Erz- bischöfe noch etwas „erhausen‘“, wie von Michael von Kuenburg ge- meldet wird, der nicht nur keine neuen Schulden machte, sondern von alten sogar 74812 Gulden zurückzahlte, für 18428 Gulden jährliche Gülten zum Stifte ankaufte und einen Schatz von 10000 Gulden sammelte. Wenn es wahr ist, was Georg von Kuenburg in dem Briefe an Ninguarda behauptet, daß die Domherren aus dessen Nach- laß sich 60000 Gulden angeeignet hätten, so muß er noch viel mehr, als angegeben wird, erspart haben. Auch Johann Jakob vermochte für das Stift Ankäufe zu machen; so erwarb er 1575 vom Kloster Admont die Propstei Fritz und die Urbarämter Pongau und Lungau für 38000 Gulden.

Über die Besteuerung der Untertanen erfahren wir zwar ziemlich viel, aber es ist nicht recht möglich, das Erträgnis der Steuer zu be- rechnen. Schon 1526 mußte die Landschaft wegen der Stellung von 1000 Mann zu Fuß als Türkenhilfe eine allgemeine Landsteuer aus- schreiben, die auch Geistliche und Adel traf. Die Ansätze waren von jedem Gulden „klaren“ Vermögens für Bürger 4, für Bauern 6 Pfennige; für Prälaten und andere Grundherren 5, für den Ritterstand 10 Pfennige von ihren Gülten auf den Gulden. Ausländische geistliche und welt- liche Grundherren mußten von ihren Gülten den halben Teil zurück- lassen. Von allen Pensionen war die Hälfte, von Einkünften der

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Pfarrer und Benefiziaten !j,, von Zünften und Kirchenbarschaft alles, was über die notwendigste Unterhaltung entbehrt werden konnte, zu steuern. Handwerker zahlten nach den Verhältnissen ihres Gewerbes eine Erwerbssteuer, von Besoldungen hatte jeder Mann auf den Gul- den 15, jedes Weib 8 Pfennige zu zahlen. Die Steuer in den Städten, Märkten und auf dem Lande war als Eidsteuer zu betrachten, „weil der Wert des liegenden und fahrenden Vermögens von den ernannten Steuerherren (Einnehmern) von Gericht zu Gericht durch Aussage jedes Individualinhabers nach vorher abgelegtem Eide erhoben wurde‘. Der Betrag von ı Gulden 40 Kreuzern von je 100 Gulden Vermögen in den Städten, von 2 Gulden 30 Kreuzern auf dem Lande mußte je zur Ilälfte um Lichtmeß und Pfingsten erlegt werden. Im Falle größeren Bedarfes sollte zwar der angenommene Steuerfuß bleiben, aber durch höhere Einschätzung der Güter oder Verdoppelung der Steuer der Ertrag erhöht werden. Bereits 1528 trat eine solche Verdoppe- lung ein; 1529 und 1532 hatten von je 100 Gulden Einnahme die Prälaten 30, die Ritter 20 Gulden, die Geistlichkeit überhaupt den fünften Pfennig zu steuern; 1538 gab es wieder eine doppelte Eid- steuer, wovon die eine Hälfte als Reichshilfe, die andere zur Schulden- tilgung bestimmt war. Damals wurden auch die Güter neu nach ihrem „wahren Werte“ eingeschätzt; der Eid der Bauern sollte nicht beachtet, sondern jedes Gut zum Verkaufswerte angeschlagen werden; nur das an Ausländer schuldige Kapital durfte abgezogen werden, nicht das von Inländern entlehnte. 1548 wurde die Steuer mit 5 Pfennigen auf den Gulden Vermögen in den Städten, mit 7 auf dem Lande ausgeschrieben. In den Jahren 1555, 1565, 1569 und 1574 wurde die doppelte Eidsteuer eingehoben, 1545, 1548, 155I und 1552 der „gemeine Pfennig“ als Türkenhilfe und zwar ı0 Pfennige von 100 Gulden Vermögen. Dann wurde bis 1583 keine neue Steuer verlangt. In diesem Jahre bewilligte der Landtag eine solche; die Einschätzung wurde den Olrtsobrigkeiten übertragen. Der Steuerfuß von 1574 wurde zugrunde gelegt, dieser verdoppelt, davon ! ab- gezogen und die zu zahlende Summe auf 5 Jahre verteilt, so daß bis 1588 3! einer einfachen Eidsteuer eingehoben wurde. Prälaten und Ritter blieben diesmal von der Steuer frei. |

Das Kriegswesen hatte seit Errichtung der „Landfahne‘“ durch Frzbischof Friedrich von Schaumburg 1494 nicht viele Änderungen erfahren. Der Übung in den Waffen ist wohl auch die Stärke der Bauernheere und ihre verhältnismäßige Ordnung in den Jahren 1525/26 zuzuschreiben. Nach den Bauernkriegen seheint die Land-

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fahne zwar nicht aufgelassen worden zu sein, wohl aber wurden die dazu Berufenen streng beaufsichtigt. Da es aber nie zu einer eigent- lichen kriegerischen Verwicklung kam, läßt sich über ihren militärischen Wert kaum ein Urteil fällen. Das ritterliche Aufgebot, das Erzbischof Matthäus noch einmal, aber mit geringem Erfolge 1525 einberief, hatte seine Rolle ausgespielt. An dessen Stelle war das Söldner- heer getreten. Obwohl Salzburg öfter zu den Reichskriegen Truppen stellen mußte, warb es solche doch lieber im Auslande, als unter seinem Landvolke. DBezeichnend ist das Verbot des Erzbischofs Michael von 1557 an seine Untertanen, sich zum kaiserlichen Kriegs- dienst anwerben zu lassen. Die entlassenen Söldner waren ein schwerer Schaden für die Untertanen, die von ihnen in der unver- schämtesten Weise belästigt wurden, weshalb man mit den strengsten Maßregeln gegen diese „gartierenden Knechte‘ vorging. Im Notfalle warben die Erzbischöfe auch Söldner zur Besetzung der Schlösser und der Grenzen, so 1525 und 1526 gegen die Bauern, 1543, als ein Einfall der Schmalkaldener befürchtet wurde, 1564, als im Gebirge wieder Unruhen entstanden. In solchen Zeiten wurden auch die Schlösser auf ihre Wehrfähigkeit untersucht, ausgebessert, mit Munition und Proviant versehen und Besatzungen anstatt der gewöhnlichen un- kriegerischen Wächter hineingelegt. Nur Büchsenmeister, später Ar- tilleristen genannt, hatte man in geringer Anzahl immer nötig. Die Kanonen bezog man aus berühmten Gießereien. Johann Jakob wollte eine Geschützgießerei und Pulverstampfe errichten, und zwar in der Riedenburg (im Südwesten des Mönchsberges), was jedoch das Ka- pitel wegen Schädigung der Fischerei im dort gelegenen, ihm ge- hörigen Teiche nicht zuließ. Den Besatzungen im Hochschlosse und in Werfen standen Hauptleute vor, die in Salzburg selbst freilich wenig Kriegserfahrung erwerben konnten. Kriegsräte werden zuerst 1543 er- wähnt; der Domdechant, vier Edelleute und ein Bürger hatten die Aus- rüstung der militärischen Macht zu besorgen. Die Einrichtung scheint später eingeschlummert zu sein. Am erzbischöflichen Hofe gab es eine Leibgarde, die dem Kapitel überflüssig schien, weshalb es in der Wahlkapitulation nach dem Tode Johann Jakobs deren Ab- schaffung forderte.

Die Residenz, an der Stelle der heutigen stehend, war ein Kom- plex der verschiedenartigsten Bauten aus allen Jahrhunderten, und mag ein ganz eigenartiges Bild gewährt haben. Matthäus Lang soll einen Neubau geplant haben, aber die in den Bauernkriegen arg mitgenommenen Finanzen hielten ihn wohl von der Ausführung ab.

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Doch baute ei einiges, so eine große „Türnitz“, worin man dreißig Tische aufstellen konnte. Sein Nachfolger Ernst ließ zwei Säle cin- wölben und den hölzernen Saal, wo die Kapläne ihre Wohnung hatten, in eine große Stube umwandeln, wo er die Ratsstube und die Kanzlei beieinander hatte und tagsüber meist zu weilen pflegte. Zur Versorgung des Hofhaltes erweiterte er den Getreidekasten, baute eine Pfisterei (Bäckerei), ein Bräuhaus und eine Schmiede mit Woh- nungen für die Bediensteten. Im sog. Aschhofe errichtete er ein „Pfaffenhaus“, d. h. Wohnungen für die Kapläne. Ein gleichzeitiger Chronist weiß dazu noch folgendes zu melden: Er hat auch die grossen und hochen raigerpaumb im hof all unbhauen und andere päm auf tächer des hofs setzen lassen, damit der hof desto weiter und ge- raumer werde. Dem Erzbischofe Michacl wird der Bau eines hohen Turmes zugeschrieben, wo ein Wächter jede Viertelstunde eine Glocke anschlagen mußte. Mit dieser Glocke wurde an Fastiagen zum Essen geläutet, während sonst Trompeter die Zeit des Mahles ankündigten. In der Residenz richtete er eine „goldene Stube“, ein „Herzog Albrechten-Zimmer“, einen „Truckhsessen-Zimmer“ und eine Gesinde- küche ein; dagegen ließ er wegen der Feuersgefahr Bräuhaus und Schmiede abbrechen. Johann Jakob dürfte in der Residenz nicht viel verändert haben; als Sommersitz erwarb er daß Schloß Rif bei Hallein, wo er die letzten Lebensjahre verbrachte.

Der oberste Beamte am Hofe war der Hofmarschall. Das Amt bekleideten gewöhnlich vornehme Adelige, so in den letzten Jahren Ernsts, unter Michael und noch unter Johann Jakob (von 1542 bis 1561) Eustach von der Alben, aus dem Geschlechte der Erbtruchsessen des Stiftes; mit ihm erlosch dieses alte Ministerialengeschlecht. Ihm folgte Adam von Thurn; später wurde das Amt von den Erzbischöfen meistens einem Verwandten übertragen. Ein sehr wichtiges Amt war das des Küchenmeisters, denn am Hofe speiste eine große Anzahl von Leuten. Unter ihm standen die Köche, die vornehmsten als „Mund- und Meisterköche‘‘ bezeichnet, von denen sich einzelne einer gewissen Berühmtheit erfreuten, so daß selbst Fürsten ihnen Lehrjungen schickten, wie Herzog Eugen von Württemberg dem ‚„Kuchelmeister‘“ Ghristoph Frankmann aus Brabant unter Erzbischof Johann Jakob. Für den nötigen Vorrat an Lebensmitteln hatten „Zehrgadner‘“ (Aufseher der Vorratskammer) und Kastner zu sorgen. Nicht minder bedeutend war das Amt des Kellermeisters. Gar mancherlei Sorten edler Weine la- gerten in den Kellern: kräftige Österreicher (Osterweine), leichte Neckar-, süße italienische und herbe Ungarweine. Mit den süßen, aus Italien

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gesäumten Weinen wurden ausländischen Fürsten mehrfach Ceschenke gemacht. Über die Tafelgeräte und andere Kleinodien hatte schon seit Matthäus ein Silberkämmerer die Obsorge. Allen diesen Hof- bediensteten waren Schreiber, später Kontrolleure, unter Wolf Dietrich italienisch als Scalcos bezeichnet, beigegeben. In den Zehrgaden wanderte auch alles Wildbret, dessen Verbrauch bedeutend war. Die Jagd wurde nicht bloß zum Vergnügen betrieben, sondern bildete eine ganz unentbehrliche Naturaleinnahme. Daher finden wir schon unter Erz- bischof Leonhard gut besoldete Jägermeister, denen zahlreiche Beamte und Jäger unterstanden. Die strengen Jagdgesetze, namentlich Johann Jakobs, müssen daher vom wirtschaftlichen Standpunkte aus beurteilt werden, obschon sich nicht leugnen läßt, daß die Überzahl des Wildes, namentlich der Wildschweine und Hirsche, der Landwirtschaft sehr schädlich war. Bei der Menge der streng gehaltenen Fasttage widmete man der Fischerei große Aufmerksamkeit; vielfach wurden auch von auswärts Dörrfische und andere Fastenspeisen bezogen. Aus der Tatsache, daß der Biber als Fastenspeise galt, erklärt sich die Vor- sorge für dieses, sonst als Fischschädiger gefürchtete Tier. Zufällig liegt vom Jahre 1573 eine Zusammenstellung der Ausgaben für den Hof vor; sie betrugen 51712 Pfund Pfennige, d. i. etwa 250 Kilogramm Silber; an Wein wurden 3787 Eimer verbraucht, an Bier 1365 Eimer. An den zwei Mahlzeiten des Hofes nahmen im Durschnitte täglich 264 Personen teil. Unter diesen waren stets zahlreiche Gäste, sowohl vornehme Herren als auch Gesinde.

Der Hofhalt der Erzbischöfe war also glänzend und freigebig; das Kapitel suchte daher den Nachfolger Johann Jakobs zu größerer Ein- fachheit anzuhalten, aber unter diesem trat gerade das Gegenteil ein. Alle Pracht entwickelte man beim Empfange fremder Fürsten, so des Herzogs Albrecht von Bayern zu Fastnacht 1558, oder des Erz- herzogs Karl von Steiermark, der 1568 mit einem großen Gefolge (nicht weniger als 750 Pferde waren nötig) hier erschien. Nachrichten über solche Besuche verdanken wir manchen Aufschluß über das Leben am Hofe und in der Stadt, so besonders den über den Auf- enthalt des Prinzen Karl von Kleve 1574. Der Begleiter des Prinzen, Stephan Pighius, weiß kaum genug Worte zu finden, um die Aus- stattung der Residenz zu schildern; nicht minder bewundert er die großartige Basilika St. Ruperts und die in Gold und Edelsteinen ge- faßten Reliquien der salzburgischen Heiligen. Bei dem Besuche Hohensalzburgs, das er wie die Stadt Juvavia von Attila zerstört wer-

den läßt, erregt der überaus feste Bau sein Staunen; das Innere darf 2%

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nach seiner Angabe nur in Begleitung des Fürsten oder mit dessen schriftlicher Erlaubnis betreten werden. Besonderen Gefallen fand Pighius an der Erzstatue vom Helenenberg (Adorant im kk. Hof- museum in Wien), die er einer Statue des -Antinous in den vati- kanischen Sammlungen vergleicht und deren Auffindung unter Mat- thäus Lang er mitteilt. Auch die vorzüglichsten Gebäude der Stadt wurden besichtigt. Die Stadt selbst scheint auf den Reisenden keinen besonderen Eindruck gemacht zu haben, wenigstens sagt er davon nichts. Ihr Aussehen war wohl noch recht mittelalterlich. Starke Mauern und düstere Tore umschlossen die Häuser, die sich eng und hochgiebelig aneinander drängten. Breite Straßen und ge- räumige Plätze fehlten noch. Der größte Platz war der Marktplatz (heute Ludwig-Viktor-Piatz); ihn schmückte ein Brunnen aus Marmor, den die Bürger 1583 mit einem zierlich bemalten und vergoldeten Eisengitter umgeben ließen. Die meisten Gassen konnten zum Zwecke der Verhütung von Aufläufen oder Störungen öffentlicher Festlichkeiten mit Ketten abgesperrt werden. Noch standen in der Stadt adelige Freihöfe, wie die Häuser der Domherren, der Sufiraganbischöfe und benachbarten Klöster oder der Ministerialengeschlechter, mit besonderen Vorrechten begabt. In der Bürgerschaft machte sich schon der Sinn für geschmackvolle Bauten mit malerischem Außenschmuck bemerkbar. So wurde 1566 die Schranne und das Waghaus bemalt, das Stadt- wappen mit wilden Männern als Schildhaltern angebracht und hier wie am Rathause die Sonnenuhr erneucrt. Das domkapitelsche Haus des Kanonikus Nikolaus von Trautmannsdorf erschien dem Rate als unförmlich, spießegget und in keine richtige vierung gebracht, weswegen ihm bei einem Umbau die Baulinie bestimmt wurde. Die Straßen waren gepflastert. Als der Rat 1569 das Pflaster umlegen ließ, trugen der Landesfürst, das Kapitel und die meisten Adeligen willig dazu bei; nur einige der letzteren weigerten sich, worüber die Bürger auf dem Landtage Klage erhoben. Auf die Sauberkeit der Gassen achtete man, besonders aber auf die Reinigung der Kamine, da vielfach die oberen Stockwerke der Häuser aus Holz waren. Auch in sanitärer Hinsicht wurde manches Zweckdienliche veranlaßt, besonders in den Jahren, da eine Volksseuche das Land heimsuchte. Da wurden die Tore noch strenger als sonst bewacht, aus seuchenverdächtigen Gegenden kommende Wanderer oder Waren nicht eingelassen, sogar ` die wichtigen Märkte, wie die Rupertidult im Herbste, abgesagt. Erz- bischof Ernst erließ 1547 eine strenge Medizinal- und Stadtsäuberungs- ördnung, in der das Absperrungssystem energisch zum Ausdrucke

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kam. Gleichzeitig wurden Pestärzte angestellt, die für ihren schweren Dienst entsprechend entlohnt wurden. An Ärzten und Wundärzten fehlte es in der Stadt und den größeren Orten schon in früherer Zeit nicht. Seit Matthäus Lang kennen wir fast lückenlos die Reihe der erzbischöflichen Leibärzte, die auch in der Stadt ihre Praxis ausübten. Bereits 1547 erscheint ein eigener Stadtphysikus; 1555 sind schon zwei Apotheken bezeugt, die sich öfteren Visitationen unterziehen mußten. Für verarmte Bürger und Bürgersfrauen sorgte das 1327 gegründete, reich mit Einkünften ausgestattete Bürgerspital, für Unter- bringung von Wallfahrern, Dienstboten und Stadtarmen überhaupt das 1496 gegründete Bruderhaus. I:n gleichen Jahre entstand in Wildbad Gastein das Armenbad als Stiftung des reichen Gewerken Strochner. In Laufen sorgte für die Kranken das alte, 1500 re- organisierte Schifferspital.e Auch in Mauterndorf, Talgau, Bruck im Pinzgau und an anderen Orten bestanden Bruderhäuser. Übcrail gab es Bäder. Nicht selten wurden in Testamenten für die Armen , Seel- bäder‘“ angeordnet, d. h. unentgeltliche Benutzung des Bades an be- stimmten Tagen gegen einen gestifteten Betrag; so tat es Matthäus Lang in seinem Testamente von 1539. Wohltätigkeitsanstalten wurden auch sonst von Bürgern häufig testamentarisch bedacht. Außerdem bestand für die Stadtarmen, die auch von den Erzbischöfen, vielleicht nicht ganz vernunftgemäß, reichlich mit Almosen beschenkt wurden, ein Stadtarmensäckel, der anfangs auf zufällige Einnahmen angewiesen, später durch Vermächtnisse einen nicht unbedeutenden Fonds gewann. Die eigentlichen Stadtarmen erhielten schon 1537 ein eigenes Zeichen, um sie von der Masse der hereinströmenden fremden Bettler zu unterscheiden.

Noch herrschte unter den Bürgern der Hauptstadt ein gewisser Wohlstand, obwohl die Gegenreformation viele der reicheren ver- trieben hatte. Die Lebenslust äußerte sich auch hie und da etwas zu laut, weshalb nicht selten bürgerliche Strafen über Trunkenbolde, Verschwender oder liederlichen Lebenswandels Beschuldigte zu ver- hängen waren. Quellen des Wohlstandes waren der noch immer ergiebige Handel, besonders mit Venedig, für die vornehmeren, ein geschütztes und stark beanspruchtes Gewerbe für die zünftigen Bürger. Die Landesfürsten, die durch Mauten und Zölle aus einem regen Handelsverkehre wesentliche materielle Vorteile zogen, ließen die Pflege der Straßen nicht außer acht. Matthäus eröffnete die Fahr- straße durch die Klanım nach Gastein und die längs der Mur von Tamsweg nach Ramingstein an die steirische Grenze. Sehr verdient

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um den Straßenbau machte sich Johann Jakob; unter ihm wurde die Straße durch den Paß Lueg von Golling bis Werfen, die von Werfen durch die Fritz nach Radstadt, die Klammstraße nach Gastein und die von St. Johann nach Großarl teils verbessert, teils neu erbaut; ganz neu angelegt wurde eine Dammstraße von Bruck im Pinzgau nach Zell am See. Zu den Straßenbauten gesellten sich Flußregulierungen, so an der Salzach im oberen Pinzgau, wo das geringe Gefälle zu Sumpf- bildungen führte, und an der Enns bei Radstadt, wo ähnliche Ver- hältnisse herrschten. Johann Jakob begann sogar damit mit den Hilfsmitteln jener Zeit war der Plan seines Rates Christoph Perner allerdings unausführbar —, die Salzach von Lend an schiffbar zu machen. Man hatte mit Felssprengungen im Passe Lucg schon be- gonnen, als der Tod Perners (1565) die Fortsetzung verhinderte. Lend selbst war hervorgegangen aus der Anlage von zwei Holzrechen ‚‚an der Hirschfurt““ 1533 durch Erzbischof Lang und eines Schmelzofens durch Christoph Weitmoser und andere Gasteiner Gewerken.

Die Pfade über die Tauern waren immer, sogar im Winter, stark besucht. Um den Verkehr zu crleichtern und den Weg auch bei Schneefall offen zu halten, genossen Gasthäuser oder Bauernhöfe an ihren Zugängen seitens der Regierung Unterstützungen an Getreide oder Geld, die man als „Tauernpfründen“ bezeichnete. Solche Über- gänge waren der Felber Tauern, der die nächste Verbindung von Mittersill im Pinzgau mit Windischmatrei herstellte, und der Stubach- Kalser Tauern, über den die Talbewohner sogar Salzhandcl trieben. An beiden gab es Bauerngüter, die zur Offenhaltung des Weges und zur Aufnahme armer Wanderer gegen eine solche Pfründe verpflichtet waren. An der Nordseite des alten Weges über den Fuscher Tauern genoß eine solche die „Schwaig in der Verlatten“, das heutige Fer- leiten, die nach einem Urbar des XIV. Jahrhunderts an die Hot- meisterei in Salzburg jährlich 600 Käse lieferte; ebenso die „Taferne an der Sämerstraße‘‘ über den erst im XV. Jahrhundert infolge des Bergbaues aufgekommenen Weg über den Rauriser oder Heiligen- bluter Tauern. Am meisten befahren war der alte Römerweg über den Radstädter Tauern, auf dessen Höhe schon früh eine Herberge, 1537 sogar zwei Wirtschaften, zu Obertauern (Wiesenegg) und Schaid- berg, vorkommen. Die Straße von Radstadt bis auf die Tauernhöhe, die Grenze zwischen Pongau und Lungau, unterhielt die landesfürstliche Maut in Radstadt, die von der Grenze bis Mauterndorf das Domkapitel, das auch aus seinem Kasten in Mauterndorf die Pfründe verabreichte. Sogar der Wirt auf dem leichter zu überschreitenden Turn - Tauern

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zwischen Mittersill und Kitzbühel und der von Ronach auf dem Über-

gange von Wald im Pinzgau nach dem tirolischen Gerlos erhielten Unterstützungen.

Manche der erwähnten volkswirtschaftlichen Unternehmungen waren auch, wie die Gewässerregulierungen, gewiß für den Bauernstand von Nutzen, so daß er dazu ohne Widerrede seine Arbeitskräfte stellte. Aber für sein materielles Wohl geschah eigentlich nichts; doch ver- narbten die Wunden, die ihm die Aufstände von 1525 und die folgen- den geschlagen hatten, allmählich, so daß er sich wirtschaftlich kräftigte. Erzbischof Wolf Dietrich (1587—1612) konnte daher an dic Steuer- kraft der Bauern wie der Bürger gesteigerte Anforderungen stellen und erlangte dadurch die Mittel zu den großen Umgestaltungen, durch die er das veraltete Staatswesen dem Bedürfnis der Zeit und seiner Auffassung vom fürstlichen Berufe anpaßte.

Mitteilungen

Versammlungen. Am 4. und 5. August hat in Breslau der dreizehnte deutsche Archivtag unter zahlreicher Teilnahme stattgefunden, und zwar unter dem Vorsitz bes Geh. Archivrats Meinardus.

An erster Stelle sprach Archivrat Bangert (Rudolstadt) über das Fürstlich Schwarzburgische Archiv in Rudolstadt und schilderte damit an einem lehrreichen Beispiele, unter welchen Schwierigkeiten ein staat- liches Archiv sich im XIX. Jahrh. allmählich zu einer angemessenen Auf- bewahrung und Ordnung durcharbeiten mußte. Die Grafen von Schwarz- burg hatten 1357 nachweislich ein gemeinsames Archiv, aber 1417 trat eine Teilung ein, und die gemeinsamen Urkunden wurden dem Stadtrat zu Erfurt zur Aufbewahrung übergeben. Nunmehr gab es drei gesonderte Schwarz- burgische Archive in Sondershausen, Arnstadt und Rudolstadt. Im XVII. Jahrh. wurde letzteres von den Registratoren mitverwaltet, aber 1704 wird ein besonderer Archivarıus erwähnt, und im XVIII. Jahrh. gab die Erwerbung der Fürstenwürde Anlaß zu fleißiger Archivforschung. Für historische Zwecke wurde das Archiv erst seit 1814 verwertet, aber der äußere Zustand war schlecht; eine Neuordnung wurde nur begonnen, jedoch nicht durchgeführt, und die Inventarisation war nur summarisch. Ein Hilfs- beamter hat sogar manches verkauft. Um die Mitte des XIX. Jahrh. hat Hesse viel gearbeitet, aber auch das Archiv gewissermaßen als seinen Privatbesitz betrachtet; er hat u. a. 16000 Urkundenabschriften aus fremden Archiven gesammelt. Seit 1859 wurden Verhandlungen mit Sondershausen wegen des Austauschs von Archivalien geführt, die jedoch ergebnislos blieben. Als Anemüller ı867 die Verwaltung übernahm, wollte er eine Neuord- nung durchführen, aber bei dem Mangel an Hilfskräften gelang das nicht;

war ja nicht einmal ein richtiger Arbeitsplatz für den Archivar vorhanden’! Trotzdem hat er sich sehr verdient gemacht, insofern er u. a. Verlorenes wieder fand und Ablieferungen aus den Archiven der Pfarrämter und Ge- meindeverwaltungen bewirkte. Bangert trat ihm ı892 als Gehilfe zur Seite, wurde 1894, wenn auch im Nebenamte, selbständig und wirkt seit 1906 nur als Archivar. Unter ihm wurde der Raum vermehrt, ein heiz- bares Arbeitszimmer geschaffen und eine volle Neuordnung durchgeführt, so daß nunmehr die Bestände in 17 Abteilungen zerfallen. Zu Grunde gelegt wurde Löhers Einteilungsplan, da sich die Anwendung des Provenienz- prinzips als unmöglich erwies. Die Archivalien sind in fünf Gewölben unter- gebracht; ein Namenkatalog für Personen und Orte weist 100000 Namen nach; von den 3000 Urkunden sind Regesten angefertigt und die darin vorkommenden Namen besonders vezeichnet worden. Nunmehr sollen die von Hesse gesammelten Urkundenabschriften ebenso behandelt werden. Be- arbeitung baben die Schätze des Rudolstädter Archivs bisher nur wenig erfahren.

Archivar Zivier (Pleß) sprach sodann über Oberschlesische Archive und Oberschlesische Archivalien und gab damit einen erwünschten Beitrag zur Pflege der sog. kleineren, d. h. der einer fach- männischen Aufsicht entbehrenden Archive in Oberschlesien, d. h. im Re- gierungsbezirke Oppeln mit Ausschluß des Landes Neiße. Eine Hauptstelle für die Archivalien des Landes gibt es nicht, da mit der Aufteilung der landesherrlichen Domänen auch die Urkunden geteilt wurden. Deshalb sollte man den wertvollsten Besitz bei den Magnaten vermuten, aber dies bestätigt sich nicht. Seit dem XVI. Jahrh. entstanden bei den königlichen Behörden neue Akten, die zumeist in das Staatsarchiv Breslau gekommen sind; für das XVIII und XIX. Jahrh. liegen viele Akten bei der Regierung in Oppeln und den Landratsämtern, die ihr Material nur teilweise nach Breslau abgeben. Wenn auch die Städte rasch polnisch geworden sind, so haben sich bei ihnen doch auch manche ältere Reste erhalten: von den 34 Städten hat der Bericht- erstatter die Archive von 18 untersucht. Ratibor besitzt 74 Pergament- urkunden 1360ff., und alle älteren Privilegien (seit dem XIII. Jahrh.) sind durch die Bestätigung Maximilians II. erhalten. Gleiwitz hat Schöffenbücher seit dem Ende des XVI. Jahrh. und 50 Pergamenturkunden 1403 ff. Das voll- ständigste Archiv aus vorpreußischer Zeit besitzt Beuthen. In Myslowitz findet sich ein Stadtbuch von 1590, in Oppeln Urkunden 1327 ff. In den Städten ist die Urkundensprache nacheinander Lateinisch, Deutsch, Tschechisch, Polnisch und wieder Deutsch. Die Dorfkirchen haben wenig Archivalien, aber wie Erfahrungen beweisen, sind gelegentliche Funde doch nicht aus- geschlossen. Von den Magnaten besitzen viele überhaupt keine älteren Akten, andere haben erst neuerdings mit deren Sammlung begonnen. Etwas günstiger steht es mit den Herrschaften Slawentzitz und Koschentin; die gräf- lichen Familien Haugwitz, Oppersdorff und Praschma besitzen bemerkenswerte archivalische Schätze, aber die meisten und wertvollsten liegen in dem vom Redner verwalteten Archive zu Pleg, das Urkunden 1237 ff., Briefe, Tage- bücher, Landbücher, Akten über industrielle Unternehmen und Karten 1636 ff. enthält. Es ist aus vielen Teilen zusammengewachsen, und früher waren die Bestände noch viel größer.

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In der Aussprache wies Geh. Archivrat Meinardus auf die vielen älteren Akten der Grundbuchämter hin, kam dann auf den vom Redner nebenbei berührten Gedanken zu sprechen, den Regierungen möchten zur Ver- waltung ihrer älteren Aktenbestände, die sich nicht gut an das Staatsarchiv abgeben ließen, eigene Archivare beigegeben werden, und glaubte von einer solchen Einrichtung abmahnen zu sollen. Geh. Archivrat Bailleu stellte dem gegenüber fest, daß z. B. die Regierung zu Frankfurt a. O. einen solchen Archivar habe, wenn auch keinen fachmännisch gebildeten, während Stadt- archivar Wendt (Breslau) mitteilte, daß in Breslau die reponierte Registratur der Stadt auch einem eigenen Beamten unterstehe.

Über die Benutzung der Archive durch Studierende zu Dissertationszwecken berichteten Geh. Archivrat Bailleu (Berlin) und Geh. Archivrat Grotefend (Schwerin) und beleuchteten die Mißstände, die sich aus dem großen Andrange und daraus ergeben, daß der Lehrer sich jetzt im Gegensatz zu früher nicht mehr die Mühe nimmt, sich selbst mit dem Zustand der archivalischen Quellen vertraut zu machen, ehe er einem Schüler ihre Bearbeitung empfiehlt So komme es, daß vielfach nichts gefunden werde, zumal wenn der Stoff sehr verstreut ist. Und noch schlimmer liege es, wenn gar zur Vermeidung des Aufenthaltes am Archiv- sitze um Übersendung der Akten gebeten werde. Auch die Vorbildung der Studenten für die Benutzung von Archivalien sei vielfach ungenügend. Als Abhilfsmaßregel wurde vorgeschlagen, die akademischen Lehrer möchten sich vorher mit den Archivvorständen in Verbindung setzen, damit die Aufgabe mehr dem tatsächlichen Zustande der Quellen entspreche, und überhaupt bei der Stellung von Aufgaben etwas vorsichtiger sein. Die Ur- sache des Übels liege darin, daß man weniger genügsam sei als früher und viel zu weitreichende Themen stelle.

Stadtarchivar Huyskens (Aachen) teilte auf Grund seiner Erfahrungen die Anschauungen der Redner nicht. Bei ihm werde öfter gefragt, welche Gegenstände sich etwa zur Bearbeitung eignen möchten, und gerade durch Dissertationen würden dann Gebiete untersucht, an deren Bearbeitung sich nicht leicht sonst jemand heranmache, aber natürlich sei eine gute Vorbil- dung der Studenten unerläßlich. Archivdirektor Kaiser (Straßburg), der zugleich akademischer Lehrer ist, bemerkte, ihm scheine es, als ob der Ein- fiuß der Lehrer bei der Wahl des Dissertationsthemas überschätzt werde, und wenn über die mangelnden Vorkenntnisse geklagt würde, so liege das weniger an den Lehrern als daran, daß die hilfswissenschaftlichen Vor- lesungen und Übungen zu wenig besucht würden. Privatdozent Laubert (Breslau) bemerkte, an den kleineren Universitäten machten sich die Übel- stände weniger fühlbar als an den großen, im übrigen sei die stärkere Be- nutzung von Archivalien zu Dissertationen darin begründet, daß die Ge- genstände aus der neueren Geschichte jetzt bevorzugt würden, und ersparte den Archivaren den Vorwurf nicht, daß sie mehr Geheimniskrämerei trieben als notwendig sei. Prof. Kaufmann (Breslau) verkannte die Berech- tigung der vorgebrachten Klagen nicht, konnte jedoch ebensowenig eine Schuld der Lehrer anerkennen, da sie unter dem starken Andrang der Stu- dierenden zu leiden hätten und fast die Hälfte der letzteren für das Studium ungeeignet sei.

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Nachdem für den ıgı5 stattfindenden internationalen Kongreß der Archivare und Bibliothekare die Geh. Archivräte Bailleu und Grotefend als Vertreter des Deutschen Archivtags in den vorbereitenden Ausschuß gewählt worden waren, fand eine Besichtigung des Staatsarchivs und der veran- stalteten Archivalienausstellung statt, die ein Vortrag des Archivdirektors Meinardus einleitete.e An der Ausstellung hatten sich auch das Diözesan- archiv und das Stadtarchiv beteiligt.

Im Anschluß daran führte Herr Apotheker Sauter in Schorndorf (Württemberg) das von ihm erfundene Verfahren zur Rückfärbung abgeblaßter und erloschener Schriftzeichen von Eisentinten (Deutsches Reichspatent 255 448) praktisch vor.

Das Verfahren beruht auf der Rückwandlung der durch den Abbau erloschenen Schriftzüge in eine dem ursprünglichen schwarzen Eisengallus- Tintenstoff möglichst ähnliche Form. Diese Rückfärbung geschieht auf direktem Wege durch nach neuartigem Verfahren fermentierte Gallussäure-Gerb- säure-Lösungen, die in 2 ausgewerteten Stärken für Papiere und Pergamente geliefert werden Nach vollendeter Umwandlung werden die jetzt wieder schwarzen Schriftzüge mit einer Beize behandelt, durch welche die neu- gebildeten Eisengallusverbindungen stabil und unlöslich gemacht werden. Die ganze Arbeit nimmt höchstens !, bis !/, Stunde in Anspruch. Nach einem Zeitraum von 8 Tagen können diese neugefärbten Schriftzüge mit Wasser und Seife abgewaschen werden, ohne Schaden zu leiden (Gut- achten des Laboratoriums im Kgl. Medizinalkollegium Stuttgart) Selbst sehr verschmutzte Pergamente können auf diese Weise wieder gereinigt werden.

Durch die Anwendung des Muco-Festigungsmittels werden brüchige Blätter wieder fest, die Anwendung der Wachsstange gibt rauhen Pergamenten die frühere Glätte und Weichheit wieder. Durch das Verfahren wird die Gefahr des Tintenfraßes beseitigt: das den Tintenfraß bedingende freie schwefel- säure Eisenoxyd wird durch diese Lösungen in schwarze unschädliche Eisen- gallus-Verbindungen von ähnlicher Art übergeführt, wie sie in den ursprüng- lichen Tinten enthalten waren.

Das Verfahren wurde unter der Kontrolle des Herrn Archivdirektors von Schneider in Stuttgart ausgearbeitet; die bisherigen Arbeiten ergaben ein durchaus günstiges Resultat sowohl hinsichtlich der Unschädlichkeit der Lösungen für den Schreibstoff, als auch der Haltbarkeit der rückgefärbten Schriftzüge: Proben, die vor 3 Jahren gemacht wurden, sind bis heute tadellos fest und dunkel in Farbe der Schrift geblieben, es darf also weiterhin lange Haltbarkeit erwartet werden

Die zweite Sitzung des Archivtags war zugleich eine solche der Haupt- versammlung des Gesamtvereins, und über die in dieser Sitzung ge- haltenen Vorträge über Archive und Bibliotheken (Archivar Loewe, Breslau) und über Stadtbücher (Prof. Rehme, Halle a. S.) wird da- her im Zusammenhange mit den übrigen Darbietungen der Gesamtvereins- versammlung berichtet.

Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden. Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.

Deutsche Geschichtsblätter

| Monatsschrift Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage

XV. Band November 1913 2. Heft

Quellen und Literatur zur Geschichte des Ordenslandes Preulsen ')

Von Paul Ostwald (Berlin-Schmargendorf)

A. Quellen.

Für das Ordensland Preußen liegt eine Sammlung der schrift- lichen Tradition in einem Werke vor, wie es an Vortrefflichkeit und Erschöpfung des überlieferten Materials ein anderes Gebiet unseres deutschen Vaterlandes wohl kaum aufzuweisen hat, in dem fünfbändigen Sammelwerk:: Scriptores Rerum Prussicarum, Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft; heraus- gegeben von Theoyor Hirsch, Max Toeppen, Ernst Strehlke (Leipzig 1861 fl.).

Die Herausgeber haben hier nicht nur die im Ordenslande ent- standenen größeren Werke zusammengestellt, sondern sie haben in den sogenannten Beilagen auch alle sonstigen Nachrichten über das Ordensland zusammengetragen, die mittelalterliche Geschichtschreiber bieten. Diese B.ilagen sind sachlich geordnet, d. h. sie sind den Hauptquellen angegliedert, mit denen sie sich ihrem Inhalte oder ihrer Form nach berühren, so z.B. bieten die Beilagen zu der Chronik Peters von Dusburg andere mittelalterliche Nachrichten über die Grün- dung des Ordens und seine Ankunft in Preußen; der Reimchronik des Nikolaus von Jerrschin sind als Beilagen die Stellen aus anderen deutschen und livländischen Dichtwerken beigefügt, die auf das Ordens- land irgendwie Bezug haben. Jede Quelle ist von den Herausgebern mit einer ausführlichen kritischen Einleitung versehen, “die den Be- nutzer über das Notwendige unterrichtet, so über die Person des Ver-

1) Abkürzungen: . W. G. = Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins. . M. == Altpreußische Monatsschrift,

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fassers, über die von ihm benutzten Quellen, über die Tendenz des Werkes, über die Wichtigkeit für einzelne Zeitabschnitte u. a.

‚Geordnet sind die Quellen chronologisch nach ihrem Inhalt, so daß man von vornherein ungefähr abschätzen kann, in welchem Bande wohl dieser oder jener Bericht zu suchen ist. Bd. ı enthält die Be- richte über die Gründung des Ordens und seine Besitzergreifung von Preußen bis in die Zeit um 1330; Bd. 2 reicht bis in das Ende des XIV. Jahrhunderts und bietet neben der Chronik Wigands von Mar- burg besonders livländische Überlieferungen und auf preußischem Boden entstandene Heiligenlegenden; Bd. 3 ist mit seinen Quellen wertvoll besonders für die letzten Jahrzehnte des XIV. und die ersten Jahrzehnte des XV. Jahrhunderts; Bd. 4 enthält vor allem die Quellen zu dem Preußischen Bunde, dem ı3jährigen Kriege dieses Bundes gegen den Orden, Danziger Überlieferungen und Schriften des Äneas Sylvius, die Preußen betreffen; Bd. 5 endlich bringt die Fortsetzungen der Danziger Überlieferungen bis 1525 und die anderen bis zur Auf- lösung des Ordens reichenden Berichte. Zur leichteren Übersicht ist jeder Band mit einem genauen Inhaltsverzeichnis versehen, Bd. 2 und 5 enthalten außerdem alphabetische Namenverzeichnisse.

Für einen besonderen Teil des Ordenslandes, für das Bistum Ermland, gibt es eine besondere Sammlung aller schriftlichen Tra- dition über dieses Gebiet. Es ist das die zweite Abteilung der Mo- numenta historiae Warmiensis, die Scriptores rerum Warmiensium, herausgegeben von Carl Peter Woelky und Johann Martin Saage (2 Bde., Braunsberg 1886, 1882). Alle das Bistum Ermland betreffen- den schriftlichen Überlieferungen sind darin enthalten, auch die Ab- schnitte solcher . Quellen, die in die SS. rerum Prussicarum auf- genommen sind. Für alle das Bistum Ermland berührenden Fragen ist also diese Sammlung heranzuziehen. Geringer sind natürlich die hier gebotenen Quellen an Wert für die allgemeine Ordensgeschichte. Zu nennen wären aus Bd. ı die Acta de interceptione castri Allenstein und das Uhronicon de vitis Episcoporum Warmiensium von Johann Plastwich. Beide Quellen bringen Berichte aus der Zeit des Auf- standes gegen den Orden im XV. Jahrhundert. Vor allem ist die Chronik wichtig, weil sie viele persönliche Erlebnisse aus der Zeit des: Aufstandes bringt, und es von Interesse ist, zu erfahren, was des Ordens gleichzeitige Gegner über ihn dachten; „die Chronik ist die älteste uns erhaltene Stimme aus den feindlichen Reihen“.

Eine nicht unwichtige Quelle, gegründet auf Urkunden und Akten vornehmlich, sowohl für die Geschichte der Stadt Thorn als auch für

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die allgemeine Landesgeschichte ist die älteste Thorner Stadtchronik, 1350—1528 reichend, (Z. W. G., Heft 42, 1900), herausgegeben mit Einleitung und Anmerkungen von R. Toeppen.

Heranzuziehen für die Ordensgeschichte wären als Quelle dann noch polnische Geschichtschreiber, vor allem die Schriften des Kra- kauer Domherrn Johannes Dlugosz. In seiner Erstlingsschrift Ban- deria Prutenorum beschreibt er die von den Polen in der Schlacht von Tannenberg und in anderen Schlachten gewonnenen Fahnen des Ordens, in seiner Historia Poloniae, die bis etwa 1480 reicht, be- leuchtet er von seinem polnischen Standpunkte aus die Kämpfe der Polen mit dem Orden.

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Die älteste und immer nach grundlegende Urkundensamm- lung ist Johannes Voigts Codex Diplomaticus Prussicus, 6 Bde., Königsberg 1836 fl. Die hierin enthaltenen Urkunden umfassen die Jahre 1217 bis 1404. Bei der Auswahl blieben ausgeschlossen: ı) die Urkunden, die Länder betreffen in einer Zeit, als diese noch nicht zum Ordensland gehörten; 2) alle Urkunden, die nur den Orden an- gingen. Den Urkunden sind nur zwei Notizen beigefügt, wo das Ori- ginal zu finden ist, wo die Urkunde in Voigts Geschichte Preußens Verwendung gefunden hat.

Für die Zeit bis 1309 ist Voigts Codex Diplomaticus Prussicus jetzt überflüssig geworden, da wir in dem Preußischen Urkundenbuche eine den heutigen Anforderungen entsprechende Urkundensammlung besitzen. Dem Preußischen Urkundenbuche, herausgegeben von Philippi, Wölky, Seraphim (Königsberg i. Pr. 1882 und 1909), lag ursprünglich der Plan zugrunde, die Urkunden in zwei Abteilungen einer poli- tischen und einer kirchlichen zu veröffentlichen. Der Plan ist auch durchgeführt in dem von Philippi und Wölky bearbeiteten Teile bis 1257, in den nur politische Urkunden Aufnahme gefunden haben. Auf Perlbachs Betreiben jedoch wurde die ungefähr nach einem Zwischen- raum von 20 Jahren wieder aufgenommene Arbeit derart angelegt, daß auch alle nichtpolitischen Urkunden in dem Werke enthalten sein sollten. So enthält die zweite Hälfte des Preußischen Urkundenbuches 1257 bis 1309 und zwar im Gegensatz zu Voigt:

„ı. alle eigentlichen Urkunden aus dem Zeitraume 1257 bis 1309 inkl., und zwar in Regestenform, wenn sie bereits in einem der neneren Preußischen Urkundenbücher gedruckt waren, wenn

das aber nicht der Fall war, in extenso, 8*%

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2. die nichtpolitischen Urkunden, also in erster Reihe die Besitz- und Verleihungsurkunden, wenn sie nicht in einem der neueren Preußischen Urkundenbücher bereits gedruckt waren. War das der Fall, so wurde selbst von einem Regest Abstand genommen ; doch sind die Gründungsprivilegien der Städte und ebenso die Privilegien der Klöster und ihre Konfirmationen kurz verzeichnet, weil sie sich auf Faktoren von politischer Bedeutung im Leben des Landes beziehen.“

So fehlt bedauerlicherweise dem ersten Bande die Einheit. Er umfaßt die Urkunden von 1140 bis 1309, und alles, was zu ihrer äußerlichen Beurteilung dienen kann, ist angegeben worden. Personen- und Ortsverzeichnis, Wort- und Sachregister fehlen nicht.

Nach dem anfänglichen Plane sollten, wie wir sahen, im Preußi- schen Urkundenbuche politische und kirchliche Urkunden in getrennten Sammlungen herausgegeben werden. Von der geplanten Abteilung: Urkunden der Bistümer, Kirchen und Klöster sind erschienen: Ur- kundenbuch des Bistums Kulm, bearbeitet von Wölky (Danzig 1885 bis 1887) und Urkundenbuch des Bistums Samland, herausgegeben von Wölky und Mendthal (Leipzig 1891 ff.). Von dem Urkundenbuche des Bistums Culm kommt für unsere Zwecke nur Bd. ı (1243—1466) in Betracht, von dem Urkundenbuche für das Bistum Samland eben- - falls nur Bd. 1. Für die Herausgabe der Urkunden waren die gleichen Gesichtspunkte maßgebend wie im politischen Teil.

Unabhängig von dem Unternehmen dieses Preußischen Urkunden- buches hat Cramer ein Urkundenbuch zur Geschichte des vormaligen Bistums Pomesanien herausgegeben im 15. bis 18. Heft der Zeitschrift des historischen Vereins für den Reg.-Bezirk Marienwerder (Marien- werder 1885—1887). Die Urkunden (1236—1588) sind mit den nötigen Anmerkungen über vorkommende Orts- und Personennamen versehen. In einem Anhang folgt eine „Beschreibung der auf das vormalige Bistum Pomesanien Bezug habenden Siegel und Wappen und deren Abbildung“ (auf 5 Tafeln). ı. Siegel der Bischöfe. 2. Die Siegel des Kapitels, des Probstes, des bischöflichen Voigts, des Kapitelvoigts, das Wappen und Banner des Bistums Pomesanien. 3. Die Siegel der sechs Städte des Bistums: Marienwerder, Riesenburg, Rosenberg, Garn- see, Bischofswerder, Freistadt. 4. Siegel einiger adeliger Familien, welche zur Ordenszeit im Bistum ansässig waren.

Ein mit dem Preußischen Urkundenbuche ebensowenig zusammen- hängendes Werk ist der Codex Diplomaticus Warmiensis oder Regesten

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und Urkunden zur Geschichle Ermlands, gesammelt und im Namen des historischen Vereins für Ermland herausgegeben von Wölky und Saage (I. Abteilung der Monumenta historiae Warmiensis, 3 Bde., Mainz, Braunsberg, Leipzig 1864, 1872, 1874). Bd. ı Urkunden bis 1340; Bd. 2 Urkunden bis 1375; Bd. 3 Urkunden bis 1424. Bd. 2 und 3 enthalten zu den ersten beiden Bänden Nachträge. Die Urkunden sind mit den notwendigen Anmerkungen versehen, jeder Band hat ein Personen- und Ortsregister.

Wenig in Betracht kommen für unsere Zeit die Urkunden zur Geschichte des ehemaligen Hauptamtes Insterburg, herausgegeben von Kiewning und Lukal (Insterburg 1895). Von 1376 bis 1525 sind nur 27 Urkunden erhalten, hauptsächlich über Verleihungen von Land und Inventaraufnahmen handelnd. Eine andere, städtische Urkunden- sammlung hat dagegen eine größere Bedeutung. Mendthal: Ur- kundenbuch der Stadt Königsberg, 1256—1410 (Königsberg 1910).

Wichtig für die ersten Jahrzehnte des Ordens in Preußen und dann vor allem für die Einverleibung Pommerellens in den Ordensstaat ist das von Perlbach herausgegebene Pommerellische Urkundenbuch (Danzig 1882). Das Urkundenbuch umfaßt die Jahre 1140 bis 1310, es weist die für das Verständnis der Urkunden notwendigen Anmer- kungen sowie ein Personen- und Ortsverzeichnis auf.

Einem vielfachen Wunsche folgend versuchte Perlbach ein preu- Bisches Regestenwerk zu schaffen und gab als ermunterndes Beispiel selbst die chronologisch geordneten Urkundenauszüge bis 1300 heraus unter dem Titel: Preußische Regesten (Königsberg i. Pr. 1876). Eine Fortsetzung hat das Werk aber nicht erfahren und ist durch die Herausgabe des Neuen Preußischen Urkundenbuches natürlich überholt.

Neben den eigentlichen Urkundensammlungen sind als wichtigste Quelle besonders für die Handels- und Wirtschaftsgeschichte zu be- trachten die Alten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des deutschen Ordens, herausgegeben von M. Toeppen, 5 Bde. (Leipzig 1878—1886) In den sogenannten Rückblicken auf bestimmte Zeit- abschnitte gibt der Herausgeber eine kurze orientierende Übersicht über die auf den Land- und Städtetagen behandelten Gegenstände, über den Verlauf der Verhandlungen usw.

Infolge der streng einheitlich im Lande durchgeführten Verwal- tung gewinnen die uns erhaltenen städtischen Willküren und Ratsakten eine Bedeutung nicht nur für die bestimmte Stadt, sondern für das ganze Land, vor allem in den Fragen der Wirtschaft und des Rechts.

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Als wichtige Quellen sind deshalb anzuführen: Die ältesten Willküren der Neustadt Thorn, herausgegeben von G. Bender (Z. W. G. VII); Eine Danziger Willkür aus der Ordenszeit, herausgegeben von O. Günther (Z. W. G. 48). Die Thorner Denkwürdigkeiten, heraus- gegeben von Albert Voigt in den Mitteilungen des Koppernikusvereins, Heft 13 (Thorn 1904) sind Ratsbeschlüsse des Thorner Rats aus den Jahren 1345—1547.

B. Literatur.

Bezüglich der Literatur über die schriftliche Tradition ist im all- gemeinen auf die von den Herausgebern den einzelnen Quellen voraus- geschickten Einleitungen zu verweisen. Eine Arbeit über die preußi- schen Geschichtschreiber des Mittelalters im Zusammenhange bietet Toeppens Geschichte der preußischen Historiographie von Peter Dus- burg bis auf Caspar Schütz, oder Nachweisung und Kritik der gedruckten und ungedruckten Chroniken zur Geschichte Preußens unter der Herr- schaft des Deutschen Ordens (Berlin 1853). Die Arbeit ist heute noch grundlegend, aber in manchem doch veraltet.

Auf Grund der in den SS. rer. Pruss. von den Herausgebern den Quellen vorangeschickten Untersuchungen und auf Grund von Toep- pens Preußischer Historiographie vor allem gibt O. Lorenz in seinem bekannten Werk Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts (Berlin 1887) im 2. Bde., S. 197 fl. eine kurze orientierende kritische Übersicht über die in den SS. rer. Pruss. enthaltenen preußischen Geschichtschreiber. Diese Abschnitte sind wegen ihrer ausführlichen Literaturangaben in den Anmerkungen sehr wertvoll.

Eine kurze Übersicht über die wichtigsten, in den SS. rer. Pruss. enthaltenen Quellen mit den Angaben der Jahre, die sie umfassen, bietet der Grundriß der Geschichtswissenschaft (Bd. ı, Leipzig 1906, S. 541—542).

Über einzelne Quellen liegen neuere Untersuchungen vor, die unbedingt heranzuziehen sind. Es sind das:

1) Max Toeppen: Die Elbinger Geschichtschreiber und Geschichts- forscher (Z. W. G. 32).

2) Paul Gehrke: Das Ebert Ferberbuch und seine Bedeutung für die Dangiger Tradition der Ordensgeschichte. Ein Beitrag zur Quellenkritik der preuß. Landeschroniken (Z. W. G. 31).

3) Fuchs: Peter v. Dusburg und das Chronikon Oliviense (A. M. 21. 1884).

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4) M. Perlbach in seinen Preußisch- Polnischen Studien gur Ge- schichte des Mittelalters, Heft 2 (Halle 1886).

a) Die großpolnischen Annalen. b) Die ältesten preußischen Annalen. c) Zu Peter von Dusburg.

5) M. Perlbach: Der alte preußische Chronist in der Chronik von Oliva und Entgegnungen (A. M. 32, 1884).

6) M. Peribach: Der Übersetzer des Wigand von Marburg (A. M. 32, 1895).

7) Für Dlugosz und andere polnische Schriftsteller findet man in der gründlichen und trefflichen Arbeit von Heinrich Zeißberg: Die polnische Geschichtschreibung des Mittelalters (Leipzig 1873) alles Notwendige.

Als Ergänzungen zu den Ausgaben der Urkundenbücher sind an- zuführen :

1) Max Perlbach: Preußisch-Polnische Studien zur Geschichte PR Mittelalters, Heft 1; Heft 2 (Halle 1886). Diese Studien ent- halten eine Kritik der 24 ältesten preußischen Urkunden, Re- gesten der Urkunden Herzog Konrads von Masowien und seiner Söhne und eine Arbeit über das Urkundenwesen Herzog Mest- wins II. von Pommerellen (Heft 2).

2) Max Perlbach: Die Erschließung der Geschichtsquellen des preu- Sischen Ordensstaates (Z. W. G. 47).

3) Max Perlbach: Preußische Urkunden in polnischen und eng- lischen Archiven (A. M. 18, 1881).

4) Paul Simson: Geschichte der Danziger Willkür in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens (Danzig 1904).

Für den Orden an sich sind wir hinsichtlich der Darstellungen noch immer angewiesen auf das Werk von Johannes Voigt: Ge- schichte des Deutschen‘ Ritterordens in seinen 12 Balleien in Deutsch- land (2 Bde. Berlin 1857—59).

Die Arbeit von Pflugk-Harttung: Der Johanniter- und der Deutsche Orden im Kampfe Ludwigs des Bayern mit der Kurie (Leipzig 1905) untersucht vor allem die Stellung des Ordens dem Kaiser und dem Papste gegenüber bis 1350.

Für die Vereinigung des Schwertbrüderordens mit dem Deutschen Orden kommt in Betracht F. G. von Bunge: Der Orden der Schwert- brüder (Leipzig 1875).

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Im übrigen sind wir auf einzelne Aufsätze angewiesen, vor allem:

A. von Mülverstedt: Die Beamten und Komventsmitglieder in den Verwaltungsdistrikten des Deutschen Ordens innerhalb des Regie- rungsbezirkes Danzig (Z. W. G. 25).

. innerhalb des Regierungsbezirkes Marienwerder (Mittlg. d. histor. Vereins zu Marienwerder, Heft 8, 9, 10).

. innerhalb Masurens (Mittlg. der Literarischen Gesellschaft Masovia Bd. 6, 1900).

Diese Arbeiten an sich trockene Aufzählungen der einzelnen Beamten der Komtureien, Vogteien, Pflegen sind deshalb recht wertvoll, weil sie uns über die Heimat der einzelnen Beamten be- lehren und wir dadurch die Spuren verfolgen können, die sie als Eigentümlichkeit ihrer Heimat in die neue Welt mitbrachten.

Eine Ergänzung dazu bildet Toeppen: Historisch - komparative Geographie Preußens (Gotha 1858).

Die Stellung des Hochmeisters zu Papst und Kaiser beleuchtet eine erst kürzlich erschienene Arbeit:

Werminghoff: Der Hochmeister des deutschen Ordens und das Reich bis 1525 (Hist. Ztschr. Bd. 110, 473—518). ` Für einzelne Hochmeister und ihre Politik kommen in Betracht:

Woltmann: Winrich von Kniprode und seine nordische Politik (Dissertation Berlin 1901).

Ernst Lampe: Beiträge zur Geschichte Heinrichs von Plauen. 1411 bis 1413 (Z. W. G. 1889. Heft 26) Lampe bekämpft die An- sicht Voigts, daß Heinrich von Plauen den Krieg gewollt habe.

Über die Kriegführung des Ordens endlich unterrichten die Unter- suchungen von Bujak: Zur Bewaffnung und Kriegführung der Ritter des Deutschen Ordens, in den Sitzungsberichten der Altertumsgesell- schaft Prussia 44 (1887/88) und die Arbeit desselben: Das Söldner- wesen des Deutschen Ordens bis 1466 in der Zeitschrift für preuß. Geschichte, Bd. 4 (1862).

Da natürlich mit der Geschichte des Ordenslandes die des Ordens eng verknüpft ist, so sind’ auch die folgenden Werke und Aufsätze, die vornehmlich das Land, seine Verwaltung, seine Wirtschaft usw. in den Vordergrund rücken, für die Geschichte des Ordens an sich heranzuziehen.

Das grundlegende Werk über das Ordensland Preußen verdanken wir auch hier wieder Johannes Voigt. Es ist seine Geschichte Preu-

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Pens von den ältesten Zeiten bis sum Untergang der Herrschaft des Deutschen Ordens, 9. Bd. (Königsberg 1827—39).

Die von Lohmeyer begonnene und in dritter Auflage von Krollmann bearbeitete Geschichte von Ost- und Westpreußen (Gotha 1908) reicht gegenwärtig nur bis 1411.

Für die Geschichte des Handels und der Gewerbe kommt als einziges größeres Werk noch heute in Betracht: Theodor Hirsch: Handels- und Gewerbsgeschichte Danzigs unter der Herrschaft des Deut- schen Ordens (Leipzig 1858). Wenn auch, wie der Titel des Buches es sagt, Danzigs Verhältnisse im Vordergrund stehen, so geht Hirsch auf diese doch nur im Rahmen der allgemein preußischen ein. Buch 1: Die allgemeinen Grundlagen des gewerblichen Lebens; Buch Il: Der Großhandel. In den Beilagen zum 2. Buch sind einige Handelsverträge veröffentlicht. Buch III: Die Gewerbe. Die Beilagen zum 3. Buch enthalten die Rollen einiger Danziger Handwerkerämter.

Für die Ordensbauten besitzen wir vorzügliche Arbeiten von C. Steinbrecht; sie sind auch mit vielen Abbildungen versehen, wie es ja für das Verständnis nur notwendig ist.

C. Steinbrecht: Die Baukunst des Deutsch- Ritterordens in Preußen (Berlin 1885, 1888), zerfällt in zwei Teile:

I. Thorn im Mittelalter. II. Preußen zur Zeit der Landmeister. Beiträge zur Baukunst des Deutschen Ritterordens.

M. Toeppen, Zur Baugeschichte der Ordens- und Bischofsschlösser in Preußen (Z. W. G. ı) bietet Nachrichten, die auch für die politische Geschichte wichtig sind.

Heranzuziehen sind natürlich die Geschichtswerke über die Länder, mit denen der Orden irgendwie in Berührung gekommen ist. Zu nennen wären vor allem:

1) Roepell-Caro: Geschichte Polens (Bd. 1. Hamburg 1840; Bd. 2—5. Gotha 1863—86).

2) M. Wehrmann: Geschichte von Pommern (2 Bde. Gotha 1902 bis 1904).

3) E. Seraphim: Geschichte von Livland (Bd. 1. Gotha 1906; nur bis 1582).

Damit sind die größeren Werke erschöpft, aber es ist eine große Reihe von Aufsätzen und Abhandlungen vorhanden, die auf alle wich- tigen Fragen eingehen. So beleuchtet H. v. Treitschke: Das

Deutsch- Ordensland Preußen in den Historisch-politischen Aufsätzen (Leipzig 1861). Mit der Gründung des Ordensstaates in Preußen beschäftigen sich: Watterich: Die Gründung des Deutschen Ordens in Preußen (Leipzig 1857). Rethwisch: Die Berufung des Deutschen Ordens gegen die en (Berlin 1868, Dissertation Göttingen) und Lohmeyer: Die Berufung des Deutschen Ordens nach Preußen (Zeitschr. für preuß. Geschichte Bd. 8, 1871, wieder abgedruckt

in des Verfassers gesammelten Aufsätzen Zur altpreußischen Ge- schichte [Gotha 1907], S. 93—117).

Die Stände im Ordensstaat behandelten Wichert: Die politischen Stände Preußens (A. M. 5) und

Toeppen: Der Deutsche Orden und die Stände Preußens (Histo- rische Zeitschrift 46), aber beide Arbeiten sind überholt von

Werminghoff: Der Deutsche Orden und die Stände in Preußen (Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins 1912).

Mit den Städten befaßt sich Wermbter: Die Verfassung der Städte im Ordenslande Preußen (Z. W. G. 13), aber es ist, im Gegen- satz zu den von Wermbter vertretenen Anschauungen, bei genauerem Zusehen von einer Einheitlichkeit der Stadtverwaltung die Rede, wie wir = ihr in anderen Territorien nicht begegnen.

Den Anteil des Ordenslandes an dem hansischen Handel be- leuchtet vorzüglich R. Fischer: Königsberg als Hansestadt (A. M. 41. 1904), vor allem die Beteiligung der einzelnen Städte und die Pfund- zollangelegenheit. Für den Hansahandel wären weiter zu nennen:

Karl Koppmann: Die Preußisch-Englischen Beziehungen der Hansa 1375—1408 (Hansische Geschichtsblätter 1833).

C. Sattler: Die Hansa und der Deutsche Orden bis zu dessen Ver- fall (Hansische Geschichtsbl. 1882).

Auf die Beteiligung des Ordens sclbst am Handel und die Folgen geht die Untersuchung von C. Sattler: Der Handel des Deeutschen Ordens in Preußen zur Zeit seiner Blüte (Hansische Geschichtsbl. 1877) ein. Die von ihm herausgegebenen Handelsrechnungen des Deutschen Ordens (Leipzig 1887) sind hier heranzuziehen und ebenso seine Be- richte (ebenfalls in den Hansischen Geschichtsbl. 1877) über zwei weitere Rechnungsbücher des Großschössers von Marienburg.

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Für den Landhandel ist grundlegend die vorzügliche Arbeit von Oesterreich: Die Handelsbesiehungen der Stadt Thorn su Polen 1232 —1454 (Z. W. G. 28; 1890). Für die Benachteiliguug des hei- mischen Handels durch fremde Konkurrenz und den geringen Schutz, den der Orden seinen Untertanen dagegen gewährte, liefert einen Beitrag Ostwald: Nürnberger Kaufleute im Lande des Deutschens Ordens (Deutsche Geschichtsblätter Bd. 14).

Derselbe weist in der Arbeit Das Handwerk unter dem Deutschen Orden (Z. W. G. 55, 1913) im Gegensatz zu Hirsch nach, daß es sich im Ordenslande nur um Ämterorganisationen, nicht um Zünfte handelt. In einem Anhang sind die Nachrichten über die Meisterstücke zu- sammengestellt.

Die Beziehungen des Ordens zu den Bistümern beleuchten Paul Reh: Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den preußischen Bischöfen im XIIL Jahrhundert (Z. W. G. 35) und Froelich: Das Bistum Kulm und der Deutsche Orden, ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Deutsch-Ordensstaates (Z. W. G. 27. 1889).

Als bemerkenswerte Aufsätze über besondere Verhältnisse seien noch genannt: Toeppen: Die Zinsverfassung Preußens unter der Herrschaft des preußischen Ordens (Zeitschr. f. preuß. Geschichts- und Landeskunde 1867) und Babenderade: Nachrichtendienst und Reise- verkehr des Deutschen Ordens um 1400 (A. M. Bd. 50. 1913).

Fast völlig fehlen leider genauere Untersuchungen auf dem Gebiete des Rechtswesens. Vereinzelt steht da Toeppen: Mitteilungen zur preußischen Rechtsgeschichte (A.M. ı2. 1875).

Bei den Geschichten der Städte sind wir im allgemeinen auf ältere Werke angewiesen. Nur über einige bestehen brauchbare mo- derne Arbeiten.

Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig (Danzig 1903). Der Verfasser wollte eine kurze und durchaus nicht rein wissenschaftliche Arbeit liefern. Für unsere Zeit kommen nur die ersten 36 Seiten in Betracht. Noch populärer gehalten ist Pawlowski: Geschichte der Provinsial- Hauptstadt Danzig von den ältesten Zeiten bis zur Säkular- feier ihrer Vereinigung mit Preußen 1893 (Danzig 1891).

Besser steht es mit Königsberg. Hier verfügen wir wirklich über eine vorzügliche wissenschaftliche Arbeit in R. Arnstedt: Geschichte der Stadt Königsberg (Stuttgart 1899).

Für Thorn, Elbing, Marienburg liegen nur ältere Stadt- geschichten vor, nämlich Wernicke: Geschichte der Stadt Thorn (Bd. ı. Thorn 1823), Voigt: Geschichte der Stadt Marienburg (Königs-

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berg 1824), M. G. Fuchs: Die Beschreibung der Stadt Elbing und ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hin- sicht (Elbing 1818—32. 3 Bde.) und E. Rhode: Der Elbinger Kreis in topographischer, historischer und statistischer Hinsicht (Elbing 1810).

Die Arbeiten von Wernicke, Fuchs, Rhode haben deshalb nicht viel Wert, weil sie nicht immer auf die Originalien zurückgehen oder diese falsch übersetzen; auch sind die Darstellungen unübersichtlich.

Der Mangel an guten Darstellungen der Geschichte dieser wich- tigen Ordensstädte wird dadurch nun etwas aufgehoben, daß wir über einzelne Abschnitte aus ihrer Geschichte vortreffliche Untersuchungen besitzen und besonders aus der Zeit der Ordensherrschaft. Dahin gehört Kestner: Beiträge zur Geschichte der Stadt Thorn (Thorn 1882). Diese Beiträge bieten Wertvolles für den Handel mit Perlen, die Teil- nahme der Ordensstädte am Kriege gegen die Königin Margarete und für die Erhebung der Städte gegen den Orden 1454. Thorns Bürger- meister Tilemann vom Wege war ja die Seele des Aufstandes. Ferner kommt in Frage M. Toeppen: Elbinger Antiquitäten. Ein Beitrag zur Geschichte des städtischen Lebens im Mittelalter. Heft ı (Danzig 1871) enthält: Topographie, Kämmereiverwaltung, Kriegswesen. Heft 2 (Danzig 1872): Kirchen, Schulen, Klöster, Hospitäler, das Lübische Recht. Heft 3 (Marienwerder 1872): Das Stadtregiment, Listen der Ratsherren und Vögte der Stadt Elbing.

Anzuführen sind dann noch als wertvolle wissenschaftliche Arbeiten: Franz Schultz: Die Stadt Kulm im Mittelalter (Z. W. G. 23) und Geschichte der Stadt Deutsch- Eylau (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, Bd. 4).

Seine in den verschiedensten Zeitschriften veröffentlichten Auf- sätze hat Karl Lohmeyer unter dem Titel Zur altpreußischen Ge- schichte (Gotha, F. A. Perthes 1907) neu herausgegeben. Es kommen davon für den hier behandelten Zeitraum die folgenden Beiträge in Betracht: Die Berufung des Deutschen Ordens nach Preußen (schon oben S. 36 herangezogen), Ist Preußen das Bernsteinland der Alten gewesen?, St. Adalbert, der ersle Apostel der Preußen, Polen und Littauen und der Ordensstaat in Preußen, Kaiser Friedrichs II. goldene Bulle über Preußen und Kulmerland vom März 1226, Witowd, Grof- fürst von Littauen (F 1430). |

Über die das Ordensland betreffenden Aufsätze in Zeitschriften unterrichtet bis 1897 eine Arbeit von Otto Rautenberg: Ost- und Westpreußen, ein Wegweiser durch die Zeitschriftenliteratur (Leipzig 1897). Die Abschnitte: Geschichte, Wirtschaftliches und geistiges

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Leben kommen hier besonders in Betracht. Für die folgenden Jahre orientiert die Altpreußische Bibliographie, die jährlich in der A. M. erscheint. Hier sind das ist besonders hervorzuheben auch die

Besprechungen angegeben. Über die in der Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins erschienenen Aufsätze haben wir eine Übersicht von Heft 1 50

(Danzig 1909). . Die Schulprogramme beutet nach dieser Richtung aus Loh-

meyer: Verzeichnis der in den Programmen der höheren Lehranstalten Ostpreußens enthaltenen Abhandlungen zur Geschichte Ost- und West- preußens (A. M. 22, 1885).

Auf diese Verzeichnisse aufmerksam zu machen, ist deswegen wichtig, weil sich in diesem Rahmen nur die grundlegenden Unter- suchungen berücksichtigen ließen.

Mitteilungen

Versammlungen. Die Hauptversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Breslau nahm den 5., 6. und 7. August in Anspruch. Es hatten sich, auch durch die Jahr- hundertausstellung angelockt, 223 Teilnehmer eingefunden; wieviel Vereine Vertreter entsendet hatten, ließ [sich infolge eines Versehens der Geschäfts- stelle nicht ermitteln. Wie aus dem Geschäftsbericht hervorging, sind gegen- wärtig 195 Vereine im Gesamtverein zusammengeschlossen.

Die erste allgemeine und öffentliche Versammlung in der Aula der Universität brachte zunächst den Vortrag von Prof. Preuß (Breslau) über die Quellen des Nationalgeistes der Freiheitskriege. Der Redner beantwortete die Frage, wie der neue Geist entstanden sei, und bezeichnete als seine Wurzeln das preußische Staatsbewußtsein, das durch Friedrich den Großen entstanden war, die Abkehr der Gebildeten vom Inter- nationalismus und Subjektivismus, nachdem Winckelmann in seiner Beschäftigung mit der Antike den Nationalgeist entdeckt und das Verständnis für die Eingliederung des Einzelmenschen in ein großes Ganzes geweckt hatte, die Romantik, die wiederum Sinn für die Eigenart des Volkstums ent- wickelte, und schließlich die religiöse Bewegung, die für die Massen den Kriegsdienst zum Gottesdienst machte.

An zweiter Stelle sprach Prof. Schrader (Breslau) über Germanen und Indogermanen!). Der Redner fragte zunächst: Seit wann haben wir ein Recht, von Germanen imsprachlichen Sinne zu reden?

1) Vgl. dazu den Aufsatz eos Heimat der Arster von Freiherrn v. Lichtenberg in dieser Zeitschrift 14. Bd., S. 253—284.

=; 40:

und antwortete: seit der ersten Lautverschiebung, seit sich cornu von horn, pater von vater getrennt hat. Die Römer fanden die Lautverschiebung als schon vollzogen vor; sie ist verschieden in Zeitpunkten zwischen 100 und 3000 v. Chr. angesetzt worden, wird aber um soo v. Chr. stattgefunden haben, da die durch keltischen Einfluß der germanischen Sprache zugeführten Worte (wie Eisen) vor der Verschiebung aufgenommen worden sind. Die den Germanen eigene Kultur ist frühestens um 900 v. Chr. nachweisbar, aber deren Träger sind nur als Prägermanen aufzufassen. Der Einwand, daß die indische und griechische Sprache viel früher entwickelt seien, ist nicht stichhaltig; denn die Besonderheiten der Völker können sich in sehr verschiedener Zeit ausgebildet haben. Sodann wurde die Frage beantwortet: Auf welche Wohnsitze deutet der früheste Wortschatz hin? Auf ein Leben an und auf dem Meere, und zwar einem nördlichen Meere: an der Nord- und Ostsee haben die Prägermanen sicher ı500 bis 500 v. Chr. gesessen. Sie kannten den Walfisch, fanden in der Woche eine selb- ständige Zeiteinteilung, indem sie den Wechsel des Mondes und von Ebbe und. Flut beobachteten; sie kannten den Bernstein, den sie mit dem Worte Glas bezeichneten, erhielten im Austausch gegen ihn Bronze aus Meso- potamien und eigneten sich in diesem Verkehr die Sexagesimalrechnung an. Zinn und Wage sind wohl germanische, aber noch nicht indogermanische Worte. Auf die dritte Frage: Sind die Prägermanen in diese Gegenden eingewandert oder haben sie seit unvorerdenklicher Zeit hier gewohnt? ist zu antworten, daß Einwanderung vorliegt; denn erstens können Menschen zur Eiszeit nicht an der Nordseeküste gewohnt haben und zweitens sind die Errungenschaften der Viehzucht und des Acker- baus, sowie die Kenntnis des Kupfers der Sprache nach den Indogermanen gemeinsam, aber die berühmten Muschelhaufen weisen deren Vorhandensein nicht nach. Auch direkt ist die Einwanderung zu erweisen, da vor den Indogermanen ein Volk anderen Stammes an der Nordsee gelebt hat. Als die Kelten um 600 v. Chr. nach Britannien kamen, fanden sie die nicht- indogermanischen Siluren (= Iberer) vor und im Norden germanenähnliche Leute, die Caledonier. Diese Leute lebten nach Mutterrecht, räumten der Frau eine erhöhte Stellung ein, besaßen ein Zahlensystem mit 5 (bezüglich 20 = 4 mal 5), gerade wie die Basken und die vorkeltischen Bewohner Galliens, und übten die Tätowierung, wovon sie den Namen Pikten erhalten haben. Alle diese Eigentümlichkeiten finden sich in Spuren auch bei den Germanen, und so müssen wir annehmen, daß der Zweig der Indogermanen, der zu Prägermanen wurde, eben durch Vermischung mit und Aneignung gewisser Eigentümlichkeiten jener älteren Bevölkerung, die sich, wie die Caledonier, durch großen Körperbau auszeichnete, seine rassische Eigentümlichkeit er- langt hat. Der Begriff der Freiheit war bei diesem neuen Volke früh ent- wickelt, das auch manche vielleicht nichtgermanische Wörter (trinken, Honig) übernahm. Eben durch die Vermischung entstand die besondere Völkerindi- vidualität. Die vierte und letzte Frage endlich lautet: Von woher ist der fragliche Zweig der Indogermanen eingewandert?, und sie läßt sich nur mit Hilfe der Sprache beantworten. Das Germanische hängt eng mit Italisch und Keltisch zusammen; die Träger der letzteren beiden Sprachen haben aber zusammen an der unteren Donau gesessen,

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und deswegen müssen wir auch dort die Sitze der Indogermanen suchen, die nach dem Norden abwanderten, um Prägermanen zu werden.

In der zweiten allgemeinen und öffentlichen Versammlung, die im Hause der „Vaterländischen Gesellschaft‘ stattfand, handelte zuerst Professor Hoffmann (Breslau) über den Breslauer Theologen Hermes, einen Günstling Bischoffwerders und Woellners, und zeichnete ein deutliches Bild von den Mitteln, deren sich die orthodoxe Richtung im Kampfe gegen die Aufklärung bediente; denn Hermes, der 1791 von Breslau nach Berlin berufen wurde, war der geistige Urheber des Religionsedikts vom 9. Juli 1788, das 27. Dezember 1797 wieder aufgehoben wurde. Um die Gäste ın die künstlerischen Schätze Breslaus einzuführen, hielt so- dann Provinzialkonservator Burgemeister (Breslau) einen durch Lichtbilder belebten Vortrag über Alt-Breslau. Ausgehend von der Stadtanlage und der Ausgestaltung des Stadtplans beschrieb Redner den Dom und die goti- schen Bauten und verbreitete sich mit besonderer Liebe tiber das Rathaus und die Renaissancebürgerhäuser. Die Barockbauten sind wesentlich unter dem Einfluß der Gegenreformation von den Jesuiten mit Hilfe italienischer Künstler geschaffen worden, und Deutsche haben das begonnene Werk nur fortgesetzt.

Die dritte allgemeine und öffentliche Versammlung wurde in der Aus- stellung abgehalten und war durch den Vortrag von Prof. Curschmann (Greifswald) über die Historisch-geographische Forschung in Deutschland während des letzten Jahrhunderts ausgefüllt. Der Redner gab einen Gesamtüberblick über den Gang der Studien. Die Theorie, die um 1750 entstand und bis tief in das XIX. Jahrh. hinein die For- schung beherrscht hat, war die von der Fortdauer der alten Gaugrenzen in den Diözesangrenzen, die sich schließlich als irrig erwies, aber damit war die bis dahin so beliebte Gaugeographie abgetan. Das letzte einschlä- gige Werk war Böttger: Diösesan- und Gaugreneen Norddeutschlands (1874— 1876). Einen neuen Aufschwung nahm die historisch-geographische Forschung durch Eduard Richter, der den allgemeinen Grundsatz auf- stellte, daß einmal ermittelte Grenzen der Vergangenheit mannigfache Bedeutung besitzen, und durch Thudichum, der 1891 durch die For- derung, Grundkarten !) mit den Gemeindegrenzen herzustellen, die Ar- beit auf eine neue Grundlage stellte. Trotz der scharfen Kritik Richters und Seeligers hat sich die Überzeugung von der Dauerhaftigkeit der Ge- meindegrenzen immer mehr gefestigt, und bei der praktischen Arbeit für ge- schichtliche Kartenwerke, die es schon für manche Landschaften gibt, für andere geplant sind, geht die Forschung davon aus, irgendwelche größere Gebilde aus den Gemeinden als den letzten Bestandteilen zusammenzusetzen.

Die Sitzung der vereinigten Abteilungen, die zugleich eine solche des Archivtags war, brachte zuerst den Vortrag von Archivar Loewe (Breslau) über Archive und Bibliotheken. Der Redner betonte vor allem, daß die Verhältnisse in Deutschland wesentlich anders sind als im Ausland, be- sonders in Frankreich und England. Während bei uns im großen und ganzen

1) Vgl. dazu diese Zeitschrift 1. Bd., S. 33—41 und 113—131; 3. Bd., S. 273 bis 295; 5. Bd., S. 82—87.

in den Archiven handschriftliche, in den Bibliotheken gedruckte Schätze aufbewahrt werden, ist die Pariser Nationalbibliothek, über die eingehende Mitteilungen gemacht wurden, gewissermaßen auch ein französisches National- archiv, namentlich bezüglich der Handschriften zur neueren Geschichte. Ganz ähnlich steht es mit dem Britischen Museum. Während in diesen Ländern Leitung und Ausbildung des Personals gemeinsam sind, wird in Deutschland der Unterschied immer größer, gehen Archivare und Biblio- thekare ihre eigenen Wege. |

Prof. Rehme (Halle a. S.) beschäftigte sich mit den Stadtbüchern!), erläuterte zunächst den Begriff, kritisierte die Einteilungen, die Homeyer (1860), Koppmann (1873), Kleeberg (1909), Beyerle (1910 in dieser Zeit- schrift Bd. 11, S. 145—200) und Brunner (1912) vorgenommen haben, und stellte schließlich eine eigene auf, nämlich: a) Statuten- und Privilegien- bücher; b) Justizbücher; c) Verwaltungsbücher. Nachdem der Redner die Stadtbücher als Geschichtsquellen gewürdigt und die Bedeutung der einzelnen Eintragungen untersucht hatte (am wichtigsten erscheinen ihm die über Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit), stellte er Forderungen auf, welche der Her- ausgeber erfüllen muß. Als Musterleistung wurde dabei die von Woldemar Lippert besorgte Ausgabe der Lübbener Stadtbücher 1382—1526 (Urkundenbuch der Stadt Lübben, ı Band, Dresden 1911) hingestellt.

In der I. und II. Abteilung unterrichtete zuerst Museumsdirektor Seger in Form einer Führung durch die vorgeschichtliche Abteilung des Museums für Kunstgewerbe und Altertümer über die in Schlesien gewonne- nen Ergebnisse. Sodann legte Prof. Goeßler (Stuttgart) eine größere Anzahl galvanoplastischer Nachbildungen vorrömischer, römischer und merowingischer Altertümer aus der Kgl. Staatssammlung vaterländischer Alter- tümer in Stuttgart vor, welche die Metallwarenfabrik Geislingen unter sach- kundiger Anleitung ausgeführt hat und ın den Handel bringt. Nur charak- teristische, gut erhaltene, seltene und zudem kunstgewerblich anregende Stücke wurden als Vorlagen benutzt, um so die Schätze der Museen auch für die Gegenwart nutzbringend zu verwerten. Unter Vorführung einzelner Stücke im Lichtbilde beschrieb Prof. Schuchhardt (Berlin) den viel besprochenen Goldfund von Eberswalde und teilte die Geschichte seiner Entdeckung mit. Es handelt sich wohl um den Schatz eines germanischen Fürsten aus dem VII. oder VIII. Jahrh. v. Chr., der in einem Tongefäß im Erdboden auf- bewahrt wurde, und zwar liegt neben den fertigen Gefäßen auch Rohmaterial für neue Arbeit, so daß wir sicher die Herstellung der Gefäße im Lande annehmen können. Der Einfluß der Hallstattkultur ist unverkennbar, und der Vergleich mit anderen Funden gibt die Lösung der Rätsel an die Hand. Anschließend besprach cand. archaeol. Bersu (Breslau) den Stand der neolithischen Hausforschung. Naturgemäß sind von vorgeschicht- lichen Häusern nur noch Überreste erhalten, und zwar zumeist die im Erdboden liegenden Teile, während der Oberbau verschwunden ist; er muß also nach dem Grundriß, der Schichtenlagerung und dem etwa erhaltenen Wand-

1) Der Vortrag ist als selbständige Schrift mit dem Titel Über Stadtbücher als Geschichtsquelle (Halle a. S., Buchhandlung des Waisenhauses 1913. 32 S. 8°. „Æ 1.00) e’schienen.

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bewurf ergänzt werden. Steinzeitliche Hausgrundrisse sind ziemlich häufig gefunden worden; am besten erhalten ist das Fundament eines Hauses am Pfahlbau von Schussenried, da sich in dem feuchten Schlammboden auch das Holz gut erhalten hat. Die Landbauten sind weniger gut in ihrer Eigenart zu erfassen. Wenn in der Rheinpfalz ganz unregelmäßige Grund- rısse aufgedeckt wurden, so hat man es vermutlich nur mit dem vertieften Kern zu tun, während der durch Pfosten begrenzte äußere Rand der Haus- anlage höher zu suchen wäre. Auf solche regelmäßige rechteckige Häuser ist man in der Nähe von Heilbronn, bei Straßburg und bei Nördlingen (Gold- berg) gestoßen, ebenso bei Praunheim in der Wetterau. An letzterem Orte fanden sich auch Rundhütten, die den Köhlerhütten des Hunsrücks ähu- lich gewesen sein mögen. In Nord- und Ostdeutschland sind bisher weniger Hausgrundrisse entdeckt worden; klar sind nur die von Trebbus (Mark Brandenburg) und Kleinmeinsdorf bei Plön. Auffallend ist es, daß in sonst einheitlichen Kulturprovinzen verschiedene Hausformen vorkommen, und daher ist zu hoffen, daß die genauere Bekanntschaft mit den Haus- formen dazu führen wird, die Kulturgebiete noch mehr zu gliedern, die bisher im wesentlichen nach den Fundstücken und Grabformen abgegrenzt worden sind. Schließlich sprach M. Jahn (Breslau) über die Be- waffnung der Germanen zur Römerzeit. Die Lücke, die in dieser Hinsicht die Berichte der römischen Schriftsteller aufweisen, vermögen wir heute auf Grund der Funde auszufüllen, und zwar kommen besonders die Waffen in Betracht, die den Verstorbenen und Gefallenen mit ins Grab gegeben wurden. Die alten und auch später wichtigsten Angriffswaffen waren Lanze und Schwert, während Pfeil und Wurfaxt sich erst in der späteren Kaiserzeit einbürgerten. Die Lanzen dienten meist sowohl als Stoß- als auch als Wurfwaffen; nur eine Art von Speeren, deren Spitzen Widerhaken zeigen, wurden stets geworfen. Die Schwerter waren ein- oder zweischnei- dig, und zwar zeichneten sich die letzteren im I. Jahrh. v. Chr. durch ihre Länge aus; ihrer Form nach waren es Hiebwaffen. In der früheren Kaiser- zeit traten kurze, scharf zugespitzte Stoßschwerter an ihre Stelle, indem man das römische Kurzschwert nachbildete. Erst im III. Jahrh. lebten die alten Langschwerter wieder auf. Die einschneidigen Schwerter waren v. Chr. nur den östlichen und nördlichen Stämmen eigen, breiteten sich aber später auch unter den westlichen Stämmen aus und bildeten eine den Germanen eigen- tümliche Waffenart. Während die Trutzwaffen der Germanen den römischen kaum nachstanden, war der germanische Schild, die einzige Schutzwaffe, nur schwach gebaut. Die Träger handhabten ihn so, daß er die Schläge des Gegners nicht aufling, sondern seitlich ablenkte. In dieser Vernach- lässigung des Schutzes unterscheidet sich die germanische Rüstung scharf von der römischen: unbehindert von drückender Schutzrüstung drang der Germane, der Wunden nicht achtend, vor und verwandte allein den Hieb zur Verteidigung.

Die Sitzungen der III. Abteilung brachten zuerst den Vortrag des Pri- vatdozenten Laubert (Breslau) über Deutsche Kolonisationsversuche in Posen während der ersten Jahre Friedrich Wilhelms IV. Der unter Flott- well gegründete Güterbetriebsfonds, aus dessen Mitteln die Güter des pol- nischen Adels angekauft werden sollten, wurde 1845 aufgelöst, und trotz

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massenhaften Angebotes wurde kein polnisches Land erworben. Praktisch wertvoll sind die damaligen Erfahrungen deswegen, weil alle in jüngster Zeit auftauchenden Fragen (Restgüter, Sedhaftmachung von Arbeitern, Zuziehung landwirtschaftlicher Sachverständiger, Schaffung günstiger Ansiedlungsbedin- gungen zum Ausgleich des erschwerten Besitzwechsels) auch damals schon aeantwortet werden mußten, und in dieser Hinsicht kann die Gegenwart ubch aus jener Zauderpolitik lernen.

An zweiter Stelle erörterte Prof. Paul Jonas Meier (Braunschweig) die jüngsten Fortschritte in der Stadtgrundrißforschung !) und führte ım Licht- bilde Grundrisse, Baudenkmäler und Münzen vor. Der Redner, der selbst eine sehr große Anzahl von Städten hinsichtlich ıhres Grundrisses untersucht und damit die Entstehungsgeschichte in jedem Falle aufzuhellen versucht hat, legte den Nachdruck darauf, daß eine sachgemäbe, andere Städte zum Ver- gleich heranziehende Untersuchung des Stadtplanes, der etwaigen Münzen, ge- wisser Bauwerke sowie der Pfarrbezirksverhälinisse Dinge erschließen läft, die schriftlich nıcht überliefert sind, und zwar mit mindestens derselben Sicherheit wie die Urkundeninterprctation. Dieser Gedanke wurde durch Darlegung der entsprechenden Verhältnisse ın Städten wie Havelberg, Salz- wedel, Braunschweig, Helmstedt, Goslar, Stendal, Eisleben u. a. erhärtet. Den Ausgang nimmt M., von Rietschels Markt und Stadt in ıhrem recht- lichen Verhältnis (Leipzig 1897); während jedoch R. den Unterschied zwi- schen Markt und Stadt ın dem Fehlen oder dem Vorhandensein einer festen Mauer ?) erblickt, hält dies M. nicht für richtig und sieht in der Stadt vielmehr eine erweiterte Marktsıiedlung, und zwar erweitert sowohl räumlich als auch in bezug auf die Rechtsstellung der Bevölkerung, insofern des besonderen Verkehrsrechts nicht nur die kaufmännischen Bewohner, son- dern auch die übrigen Eıingesessenen des Stadtgebietes teilhaftig werden. Die erste deutsche Stadt wäre nach dieser Begrifisbestimmung Köln 1106 geworden. Die Heranziehung der Münzen ıst deshalb so wichtig, weil das Münzrecht mit dem Marktrechte regelmäßig verbunden war, und sich somit oft für eine frühere Zeit, als es urkundlich geschieht, die Markteigenschaft eines Ortes erweisen läßt. Ebenso bietet cer Befund von Bauwerken, na- mentlich der Kirchen, manche Handhabe für zeitliche Bestimmungen.

In der IV. Abteilung gab zuerst Bankdirektor Bahrfeld (Berlin) einen Überblick über Schlesiens Münz- und Geldwesen von 1807 bis 1813, der sich im wesentlichen mit dem Orte und dem Umfange der Münzprägung be- faßte Die Münzstätte war Glatz, die Ausprägung im ganzen gering. Die 1814 wieder in Breslau eröffnete Münze schloß ihre Pforten 1825 für immer.

1) Vgl. zu diesem wichtigen Gegenstande diese Zeitschrift 9. Bd., S. 133—141; 10. Bd., S. 47—48; 12. Bd., S. 255—256. Als Probe des Niedersächsischen Städte- atlasses ist inzwischen der Plan von Holzminden (2 Bil. und 5 S. Text) erschienen. An neuerer Literatur kommt in Betracht K. O. Müller: Die oberschwäbischen Reichs- städte [= Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte VIII, Stuttgart 1912], Christoph Klaiber: Die Grundrißbildung der deutschen Stadt im Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung der schwäbischen Lande [= Beiträge zur Bauwissenschaft, Heft 20, Berlin 1912], Genzmer: Stadtgrundrisse, ein Rückblick auf ihre geschicht- liche Entwicklung (Berlin 1910).

2) Vgl. dazu diese Zeitschrift 12. Bd., S. 201—214; 13. Bd., S. 25—49; 14. Bd., S. 67—86.

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An Stelle des am Erscheinen verhinderten Rechtsanwalts Breymann (Leipzig) sprach Bibliothekar Tille (Dresden) über die Frage: Wie stellen sich Genealogen und Historiker zu der naturwissenschaftlichen Richtung der Genealogie (Vererbungslehre, Regenerationslehre, Eugenik usw.)? Im Gegen- satz zu der Mißachtung, die den Genealogen noch vielfach zuteil wird, haben sich in neuerer Zeit Vertreter der Medizin und Naturwissenschaft in stei- gendem Maße mit Problemen beschäftigt, deren Lösung historisch-genealo- gische Studien zur Voraussetzung hat, und eine große schriftstellerische Fruchtbarkeit entfaltet. Leider sind diese Forscher mit der geschichtlichen, namentlich quellenkritischen Methode nur ausnahmsweise vertraut und be- gehen deshalb oft schwere Irrtümer, die dann natürlich zu irrigen Folge- rungen führen, aber auch aufs neue die Genealogie, die sich eben jetzt zu einer wissenschaftiichen Behandlung aufgeschwungen hat, in weiteren Kreisen in Mißachtung bringen. Zudem haben diese naturwissenschaftlich - medizini- schen Genealogen Aussicht, größere öffentliche Mittel für ihre Zwecke flüssig zu machen. Aus allen diesen Erscheinungen ergibt sich die Notwendigkeit, daß die Historiker diese Bewegung im Auge behalten und tatkräftig zur Be- seitigung der bestehenden Gefahren beitragen. Dazu bietet der zu Pfingsten 1914 ìn Leipzig abzuhaltende 3. Genealogische Kongreß die beste Gelegenheit, und Redner forderte deshalb die historischen Genealogen zu reger Beteiligung daran auf.

Karger (Wien) führte im Lichtbilde die Prägungen auf dem Teschener Frieden vor und erläuterte sie. Es war das ein willkommenes Seitenstück zu der Arbeit von Paul Julius (Ludwigshafen) über die numismatischen Denkseichen auf den Frieden von Hubertusburg (Mitteilungen der Österrei- chischen Gesellschaft für Münz- und Medaillenkunde, 9. Bd., Nr. 2, 3 und 5). In beiden Fällen zeigt sich, daß diese Prägungen als Quellen einen hohen Rang einnehmen.

Regierungsrat Winkel (Königsberg), der sich in den letzten Jahren zur Beschaffung von Geldmitteln für nationale Zwecke um die Einführung bilig zu kaufender Vivatbänder aus Anlaß nationaler Feiern bemüht hat, beschrieb und zeigte ebenfalls im Lichtbilde eine Reihe geschichtlich be- deutender Stücke aus der zweiten Hälfte des XVIU. Jahrhunderts und gab in den Mitteilungen über diese aus Anlaß von Siegen usw. getragenen Ab- zeichen zugleich manche Beiträge zur Geschichte der volkstümlichen Kunst und der nationalen Bewegung.

Ein Antrag Reuter (Lübeck), der eine allgemeine Statistik der Münz- funde als Mittel zur Festlegung der Handelsstraßen in alter Zeit fordert, wurde trotz Abwesenheit des Antragstellers beraten. Allgemein war man der Ansicht, daß nach Möglichkeit auch von älteren Funden noch die Zu- sammensetzung ermittelt werden möchte, und daß dies für die öffentlichen Münzsammlungen, die Vereine und Münzforscher eine schöne Aufgabe sei, die sich allerdings nur allmählich lösen lasse. Dagegen wurde der von Reuter angedeutete Zweck als tiber die Aufgabe der Münzforschung hinaus- gehend abgelehnt, und von sachkundiger Seite wurden Zweifel geäußert, ob tberhaupt den Münzfunden eine wesentliche Bedeutung für die Ermittlung der Handelsstraßen zukomme. |

In der V. der Volkskunde gewidmeten Abteilung behandelte Prof. Feit

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(Breslau) alte schlesische Kartenspiele, die zumeist Fortbildungen früherer Spielarten sind. Eingehend besprach er das Karnüffelspiel, das in politischen Verhältnissen, nämlich dem Kampfe des Bürgertums gegen die päpstliche Macht im XV. Jahrhundert, seinen Ursprung hat. In der Umkehrung der Kartenwerte, der zufolge später der Landsknecht als höchster Trumpf er- scheint, kommt der Erfolg der reformatorischen Bewegung zum Ausdruck. Weitere Umgestaltungen erfuhr das Spiel im XVII. Jahrhundert in Thüringen und in Schlesien; eine in Landshut verfaßte Karnöffelgrammatik gibt ein anschauliches Bild davon. „Karnüffel“ ist eine scherzhafte Umformung von Kardinal, so daß der Name „‚,Kardinalspiel‘“ bedeutet.

Oberlehrer Klapper (Breslau) besprach das deutsche Privatgebet im ausgehenden Mittelalter und teilte mit, daß viele damals verbreitete Gebet- bücher auf die Prager Hofgesellschaft zur Zeit Karls IV. und besonders den Kanzler Johannes von Neumarkt als Schöpfer hinführen. Infolge ihrer deut- schen Sprache waren sie volkstümlich und drangen zuerst in die Nonnen-, dann auch in die Mönchsklöster ein. Neben Prag war Nürnberg ein Ort, von dem aus deutsche Gebetbücher verbreitet wurden. Inhaltlich handelt es sich hauptsächlich um Kommuniongebete, während Beicht- und Ablaß- gebet fehlen. Im Beginne des XV. Jahrhunderts fand es ein Laie bereits nötig, die Übersetzung der Bibel ins Deutsche grundsätzlich zu verteidigen.

Mit einem für die Geschichte der Weltanschauung sehr wichtigen Gegen- stande beschäftigte sich Prof. Lauffer (Hamburg), indem er den Kometen im Volksglauben, die Wandlung der Anschauungen über seine Bedeutung vom frühen Mittelalter an, vorführte, und zwar auch mit Unterstützung von Lichtbildern. Die abergläubischen Vorstellungen, die auf die babylonische Astrologie zurückgehen und über Aristoteles und Plinius nach Deutschland gekommen sind, haben die Gemüter bis in ziemlich neue Zeit beherrscht, und wir dürfen bei der Betrachtung geschichtlicher Vorgänge diese geistigen Einflüsse durchaus nicht unterschätzen, wenn wir in unseren Urteilen nicht fehlgreifen wollen.

Die Versammlung im Jahre 1914 wird in Lindau stattfinden, und ‘zwar in der zweiten Hälfte des September. Für den Archivtag ist Bre- genz in Aussicht genommen. Da der Tag für Denkmalpflege in Augs- burg in derselben Zeit abgehalten wird, ist auf eine starke Beteiligung zu hoffen. An Stelle der drei aus dem Ausschuß ausscheidenden und satzungs- gemäß nicht wieder wählbaren Herren, Anthes (Darmstadt), Jung (Frank- furt) und Lauffer (Hamburg) wurden Gößler (Stuttgart), Hager (Mün- chen) und Prümers (Posen) gewählt.

Noch ist der unterhaltenden und geselligen Veranstaltungen zu gedenken. Den Höhepunkt derselben bezeichnete die Aufführung von Andreas Gryphius’ Absurda Comica oder Herr Peter Squenge durch Breslauer Studenten. Am Begrüßungsabend hörten die Versammlungsteilnehmer die Vorträge von Lie- dern und schlesischen Mundartdichtungen. Das Festmahl würzten manche Tischreden, und den Abschluß der Tagung bildete ein Besuch auf dem Fürstlich Pleßschen Schlosse Fürstenstein. Alles in allem war die Gesamt- vereinstagung wieder eine großartige Veranstaltung, die in den allerverschie- densten Richtungen Anregungen bot und der geschichtlichen Forscherarbeit manche neue Aufgabe stellte.

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Der Ankündigung entsprechend hat die dreizehnte Versammlung deutscher Historiker vom 16.— 20. September in Wien unter dem Vorsitz Hofrat v. Ottenthals (Wien) stattgefunden. Von den weit über 200 Teil- nehmern war der überwiegende Teil Österreicher; die Reichsdeutschen stellten nur etwa ein Viertel der Zahl. Unter den zahlreichen literarischen Festgaben, die wiederum den Kongreßbesuchern überreicht wurden, sei vor allem auf die Baugeschichte der K. K. Hofburg in Wien bis ins XIX. Jahrhundert (= Österreichische Kunsttopographie, Bd. XIV) Wien, in Kommission bei Anton Schroll & Co. 1914, 354 S. mit zahlreichen Illustrationen hin- gewiesen. Von den reichen Kunstschätzen der Kaiserstadt waren unter sach- kundiger Führung das kunsthistorische Hofmuseum, die kaiserliche Schatz- kammer und der Stephansdom zu besichtigen; auch das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, sowie die Hofbibliothek wurden den Historikern gezeigt.

Die wissenschaftlichen Darbietungen standen wiederum der deutschen Landesgeschichte, wie sie diese Blätter pflegt, mehr oder weniger fern, er- regten aber sämtlich das lebhafteste Interesse der Geschichtsfreunde.

Am Mittwoch, den 17. September, sprach als erster Redner Prof. Alexander Cartellieri (Jena) über die Schlacht von Bouvines im Rahmen der europäischen Politik. Seine Ausführungen gipfelten in der These, dsß die Schlacht von Bouvines am 27. Juli 1214 nicht, wie Scheffer-Boichhorst und Julius Ficker wollten, die jahrhundertelange deutsch- feindliche Politik Frankreichs mit einem ersten großen Erfolg krönte; sie stellte vielmehr die offizielle Freundschaft wieder her, die Deutschland und Frankreich damals verband und die nur Otto IV. getrübt hatte, indem er zum Bundesgenossen Englands, des größten Feindes Frankreichs in dieser Zeit, wurde. Friedrich II. empfing aus den Händen Philipps II. August, seines Bundesgenossen, die deutsche Kaiserkrone.: Bedeutender als für Deutschland sind die Folgen der Schlacht von Bouvines für Frankreich und England gewesen, wie sie Redner gegen Ende seines großzügigen Vortrags kurz, aber klar umrissen zur Darstellung brachte.

Darauf sprach Archivdirektor Josef Hansen (Köln) über Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und das liberale Märzministerium 1848. Trotz der zahlreichen Einzelheiten, die diese fünfviertelstündige, form- vollendete Rede erfüllten, trat ihre Grundlinie doch klar hervor: nicht poli- tscher Wankelmut ist es gewesen, der Friedrich Wilhelm IV. in den spä- teren Märztagen des Jahres 1848 sich zu Konzessionen an den Parlamen- tarismus verstehen ließ, sondern sein Wunsch, die deutsche Bewegung nicht den revolutionären Tendenzen, die sich ihrer zu bemächtigen drohten, preis- gegeben sein zu lassen. Dabei wurde des Einflusses der rheinischen Liberalen auf die Gestaltung der Dinge besonders ausführlich gedacht.

Am Nachmittag desselben Tages hielt noch Heinrich Friedjung (Wien) den ersten öffentlichen Vortrag über den Imperialismus in Eng- land. Ausgehend von der territorialen Saturiertheit Englands unter der Herrschaft der Manchesterschule, die geradezu den Verzicht auf Kolonial- erwerb predigte, schilderte er das Emporkommen des modernen englischen Imperialismus. Er verknüpfe sich theoretisch mit der Gründung der „Im- perial Federation League“ vom Jahre 1884, die sich zum Hauptziel setzte: einen festen Verband zwischen England und seinen Kolonien durch Grün-

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dung eines Reichsrats (Imperial Council) zu schaffen, sowie die Schöpfung eines Reichszollbundes und einer Einheit bezüglich des Handels- und Wechsel- rechts. Der praktische Erfolg dieser Bewegung, zu deren erstem Wortführer Joe Chamberlain wurde, sei aber nicht die Durchsetzung dieser Thesen ge- wesen, sondern eine ungeheure territoriale Expansion namentlich in Afrika, deren geschichtlichen Verlauf dann Vortragender gegen Ende seiner Aus- führungen in großen Umrissen mitteilte. Mit einem Ausblick auf die un- geheuren geschichtlichen Möglichkeiten, die die heutige Weltlage in sich berge, mit dem Satze: „die Weltgeschichte war nicht, die Weltgeschichte wird erst sein‘ endete er unter größtem Beifall seine Ausführungen.

Am nächsten Tage, Donnerstag, den 18. September, sprach zunächst Prof. Adolf Bauer (Graz) über Hippolytos von Rom, den Heiligen und den Geschichtschreiber!,. Der Vortragende führte etwa aus:

Schon durch ältere Forschungen ist die geschichtliche Persönlichkeit des Eiferers und Gegenpapstes Hippolytos von Rom von der des nach dem Vorbild des antiken Hyppolytos gestalteten Heiligen der kirchlichen Legende ge- schieden. Allein über seine „Chronik“ ist noch immer eine Legende im Umlauf: sie wird von den meisten für ein gelehrtes, auf selbständigen chrono- graphischen Forschungen ruhendes Werk gehalten, das neben die Weltchroniken des S. J. Africanus und des Eusebius zu stellen sei. Die erhaltenen latei- nischen Fassungen gelten daher als Exzerpte aus dem viel reichhaltigeren griechischen Originale.

Eine armenische und mehrere syrische Bearbeitungen, sowie griechische Bruchstücke, die erst seit kurzem bekannt geworden sind, liefern jedoch den Beweis, daß die lateinischen Fassungen das Original getreu wiedergeben. H. will durch diese seine aus wenigen Quellen zusammengearbeitete Kom- pilation mittels einer dreifachen Rechnung nur nachweisen, daß bis zum Jahre ihrer Veröffentlichung, 234/5 n. Chr., seit der Erschaffung der Welt 5733 Jahre verstrichen, somit bis zum Weltende im Jahre 6000 noch mehr als zweiundeinhalb Jahrhunderte übrig seien. Die „Chronik“ zeigt also dieselbe Tendenz, verfrühte chiliastische Befürchtungen zu bekämpfen, ohne den Chillasmus ganz preiszugeben, wie die Schriften d:s Hippolytos „Vom Anti- christ“ und sein Danielkommentar. Gerade durch die knappen Listen, die er bietet, erreichte er diesen Zweck ın wirksamster Weise.

Die „Chronik“, deren Besonderheit überdies noch ein sehr ausführ- licher Diamerismos bildete, wird sich aus einer griechischen, den Anfang enthaltenden Madrider Handschrift und aus mehreren Übersetzungen und Bearbeitungen in den verschiedenen Literatursprachen der frühchristlichen Kirchen für die Berliner Sammlung „Die griechischen christlichen Schrift- steller der ersten drei Jahrhunderte“ wiederherstellen lassen.

Darauf ergriff Privatdozent Hans Hirsch (Wien) das Wort zu einem Vortrag über Kaiserurkunde und Kaisergeschichte im XII. Jahr- hundert ?). Er erörterte zunächst eine rein diplomatische Frage: den würz- burgischen Einfluß, der zum Teil schon in der Kanzlei Konrads III., in

ı) Der Vortrag wird in den Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum, (reschichte usw. gedruckt.

2) Der Vortrag erscheint vollständig in den Mitteilungen des Instituts für öster- reichische Geschichtsforschung.

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größerem Ausmaß dann in der Kanzlei Friedrichs I. seit 1156 nachweisbar ist und mindestens bis 1168, dem Jahre der Anerkennung der Herzogs- gewalt des Bischofs von Würzburg, andauert. Dann widmete er den gleich- artigen Bestimmungen über die Gerichtsgewalt des Bischofs von Würzburg und des Herzogs von Österreich dieses wurde damals ja auch gerade Herzogtum eine erneute vergleichende Betrachtung. Ganz allgemein seien dem deutschen Königtum nach dem Investiturstreit in der inneren Politik zwei große Aufgaben gestellt gewesen: Stärkung der Reichsgewalt und ein notwendiges Entgegenkommen gegen die eigennützigen Bestrebungen der Fürsten, des Hochadels überhaupt Die erste Aufgabe hat zur Begünstigung der Ministerialität und zum Ausbau des Haus- und Reichsgutes geführt, die zweite zur Entstehung des deutschen Territorialstaates. In der inreren Politik Heinrichs V. träten diese zwei Probleme zum erstenmal deutlich hervor. Den Grundstock der territorialen Gewalt bildeten die gräflichen Rechte. In Würzburg wie in Österreich wären dem Herzog eine territoriale Gerichts- hoheit übertragen worden, welche die königliche nicht ausschloß und deren Durchsetzung gegenüber Grafen, freien Herren und geistlichen Immunitäten in Österreich durch die Markverfassung begünstigt wurde. Zum Schlusse wies der Vortragende auf die Bedeutung diplomatischer Arbeit für die un- mittelbaren Zwecke der politischen und Verfassungsgeschichte überhaupt hin. Sie liege darin, daß sie das wichtigste Quellenmaterial bereiten hilfı, das wir für die Erfassung des Zuständlichen im Mittelalter überhaupt besitzen.

Am Nachmittag fand der zweite öffentliche Vortrag 'statt. Es sprach Regierungsrat Dreger (Wien) über Wiens Stellung in der Kunst- geschichte. Nachdem er durch eine Reihe Lichtbilder die Fremden in die Bauwerke Wiens eingeführt und die Wiener an Wien erinnert hatte, gab er einen Überblick über die kunstgeschichtliche Entwicklung der Stadt. In der Römerzeit trat Wien hinter dem wichtigeren Carnuntum zurück. Sein Aufschwung fiel erst in die Zeit der Kreuzzüge und entwickelte sich unter :üddeutschem Einfluß. Der Höhepunkt der- ersten Blüteperiode verbindet sich mit dem Namen Rudolfs des Stifters. Im XV. Jahrhundert trat an Stelle des süddeutschen vereinzelt italienischer Einfluß (Votivbild im Stephans- dom), namentlich aber deutsch-böhmischer, der auch französische Einwirkungen vermittelte (Statuen im Stephansdom). Seit Ende des XV. Jahrhunderts bis ins XVII. trat Wien dann kunstgeschichtlich zurück. Nach dem 30 jährigen Krieg ist es äußerlich eine halb italienische Stadt. Erst im XVII. Jahrhundert streifte es das Fremde ab und entwickelte eine bodenständige, eine typisch wienerische Kultur. Unter Maria Theresia wurde Wien eine deutsche Stadt, die es blieb bis auf den heutigen Tag. -

Am Freitag, den ı9. September, fanden infolge Erkrankung der Redner weder der angekündigte Vortrag von Dr. Fritz Kern (Kiel) noch der Prof. Steinackers (Innsbruck) statt, sondern es sprach zunächst Archivrat Jean Lulve&s (Hannover) über die Machtbestrebungen des Kardinal- kollegiums gegenüber dem Papsttum.

Die Reihe der Vorträge schloß Prof. Hans Uebersberger (Wien) mit seinen Ausführungen über die Theorien der russischen Slavo- philen im Zeitalter Nikolaus’ I. und Alexanders II. Er ging

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aus von den drei geistigen Potenzen in Rußland in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts: dem Kaiser und dem offiziellen Rußland, das be- sonders rach dem Novemberaufstand 1825 völlig reaktionär geworden, jede Kritik der bestehenden Zustände verbot und Selbstherrschaft, Reclitgläubig- keit und von den westeuropäischen revolutionären Tendenzen unberührtes russisches Volkstum für den wünschenswerten Zustand in Rußland hielt; daneben stand in der Opposition die westeuropäisch orientierte Intelligenz; endlich von beiden geschieden eine Gruppe junger adlıger Herren, die sich frühzeitig Slavophilen nannten. Die Analyse ihrer Lehre bildete den eigentlichen Gegenstand des Vortrags. Ausgehend von der Hegelschen Ge- schichtsphilosophie suchten sie zunächst zu beweisen, daß das russische Volk zu den l:istorischen Völkern gehöre. Von da aus gelangten sie zur energischsten Betonung des Russisch-Nationalen, wetterten ¿egen die we teuropäischie Nach- ahmung, brachten den schon im XVIII Jahrhundert in Rußland best:henden Deutschenhaß in ein System und verlangten eine aus sich selbst heraus- gewachsene russische Kultur, der sie in idealisierender Geschichtsbetrachtung dea unbedingten Vorrang vor der westeuropäischen verschafften und den sie namentlich in deren fester, im Westen erschütterter religiöser Grundlage sahen; wichtig ist auch ihre Überzeugung, daß die Russen keine Staaten- bildner seien. Nach der praktischen Seite und geboren aus ihrem Glauben, daß das Volk den eigentlichen Träger einer nationalen Entwicklung be- deutet, ist die Befreiung der russischen Bauern von der Leibeigenschaft ihr Werk. Mit einem Hinweis auf die entarteten Nachkommen der Slavophilen, die die heutigen Panslavisten darstellen, endete der Redner seinen Vortrag und damit die wissenschaftlichen Darbietungen des Kongresses überhaupt.

Sonnabend, den 20. September, fand der Historikertag durch einen gemeinschaftlichen Ausflug in die Wachau einen wunderschönen Abschluß. Als Ort der nächsten Tagung ist Köln, als Zeit Ostern ıgı5 bestimmt worden. Die infolge Ablaufs ihrer Wahlzeit aus dem Ausschuß ausscheiden- den Herren Breßlau, Ermisch, Lamprecht, Eduard Meyer, Meyer von Knonau wurden wieder gewählt. Neu traten ein Dopsch, Neumann, Rachfaiil, Werunsky, Schulte und Igen Ihre Ausschußmitgliedschaft aufgegeben haben Egelhaaf und Ulmann.

Am 17. und 18. September fand in Wien gleichzeitig mit dem Historiker- tag auch die XI. Konferenz von Vertretern landesgeschichtlicher Publi- kationsinstitute statt. Statt der ursprünglich geplanten drei kam es nur zu zwei öffentlichen Sitzungen. Den Vorsitz führte Hofrat Redlich (Wien). Vertreten waren durch Mitglieder die Publikationsinstitute für Baden, Franken, Niederösterreich, Bayern, Böhmen, Niedersachsen, Frankfurt a. M., Steiermark, Hessen, Kärnten, Württemberg, Thüringen, Königreich Sachsen.

Nachdem Prof. Kötzschke als ständiger Sekretär der Konferenz den Geschäftsbericht erstattet hatte, sprach als erster Redner Prof. Redlich über Die systematische Sammlung der Nachrichten über Elementar- ereignisse. Sie ist angeregt worden, so führte er etwa aus, von zwei Seiten: zunächst von den Naturwissenschaftlern, die ihre Beobachtungen in den letzten Jahrzehnten weiter zurückverfolgen wollten, um die Periodizität gewisser, nament-

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lıch meteorologischer Erscheinungen feststellen zu können. Hier ist nament- lich auf die Arbeiten des Geographen Brückner zu verweisen. Die Akademie der Wissenschaften von Mailand hat schon einmal aus diesem Gesichtspunkte heraus einen Preis für eine Übersicht über frühere Witterungs- verhältnisse ausgesetzt, und die Konferenz der meteorologischen Anstalten in Innsbruck 1905 hat ebenfalls auf die Notwendigkeit einer solchen Arbeit hingewiesen. Die anderen Anregungen, die auf die Sammlung hindrängten, kamen von wirtschaftshistorischer Seite. Lamprecht hat als erster in seinem Deutschen Wirtschaftsleben im Mittelalter systematisch Nachrichten über Elementarereignisse gesammelt und einer seiner Schüler, Curschmann, schrieb 1900 eine auf breitestem Quellenmaterial sich aufbauende Studie über Die Hungersnöte im Mittelalter. Endlich haben im September 1906 auf der Hauptversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine zu Wien Redner selbst und Dr. A. Swarowsky Referate über eine systematische Sammlung der historischen Nachrichten über Elementar- ereignisse und physisch-geographische Verhältnisse geliefert !). Der Ausschuß, dem diese Angelegenheit zur Beratung übergeben wurde, einigte sich im Laufe des Jahres 1907 folgendermaßen über Umfang und Inangriffnahme des Unternehmens.

Es sollte in zwei Abteilungen zerfallen mit dem chronologischen Scheide- punkte etwa um 1200 (oder 1250, oder 1300). Der erste Teil der Auf- gabe, die Zusammenstellung der Elementarereignisse von Christi Geburt diesen Zeitpunkt wählte man als Anfangstermin bis ins XII. Jahr- hundert war bei der Natur der vorhandenen Quellen von ein oder zwei Be- arbeitern zu lösen. Er wurde von J. Weiß in Angriff genommen, der ıg11 ein auch der Konferenz wieder vorgelegtes Probeheft herausgeben konnte, das die Zeit bis 580 umfaßt. Seine Arbeiten sind inzwischen rüstig fort- geschritten; er gedenkt sie bis 900 weiterzuführen; ein zweiter Bearbeiter, der die Elementarereignisse von 900 bis Beginn des XIII. Jahrhunderts sammelt, steht schon zur Verfügung Von da ab dürfte sich bei der Weit- schichtigkeit des Quellenmaterials eine landschaftliche Trennung der Samm- lung notwendig machen. Theoretisch läßt sich kein Grund namhaft machen, sie nur auf einen Teil Europas zu beschränken; lediglich praktische Er- wägungen haben dazu geführt, nicht über das Gebiet hinauszugreifen, das der Gesamtverein deutscher Geschichts- und Altertumsvereine umfaßt und auf dessen Veranlassung ja die ganze Publikation überhaupt erfolgt. In der anschließenden Aussprache ergriff nur ein Redner das Wort, der auf die Bedeutung dieser Sammlung für die Geschichte der Pest und damit zusammen- hängend der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland aufmerksam machte.

Sodann erstattete Herr Prof. Pirchegger (Graz) Bericht über histo- rische Kartenwerke Österreichs. Erging aus von den beiden jetzt vorliegenden Teilen des ‚Atlas der österreichischen Alpenländer“, die er des näheren beschrieb. Methodisch wurde dabei so vorgegangen, daß man zunächst den jüngsten Zustand (1848) feststellte, um dann rückwärts mit wachsender Unsicherheit die früheren Verhältnisse zu ermitteln. Das Er- gebnis war, daß sich die Landgerichtsbezirke bis ins XIII., die Grafschafts-

1) Vgl. Korrespenzblatt des Gesamivereins 1907, S. 150 fl.

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bezirke bis ins XI. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, in Tirol gar die Gerichtskörper bis ins X. Jahrhundert. Was die Quellen anbetrifft, so hat Eduard Richter, von dem die entscheidende Anregung zu dem Unter- nehmen ausging, geglaubt, daß die Landgerichtsbezirke und Steuergemeinde- grenzen zusammenfielen, mithin deren Kenntnis jene vermittelten. Das trifft für Salzburg und Kärnten zu; in Steiermark aber haben beide nichts miteinander zu tun; in den meisten Kronländern deckt sich Landgerichtsgrenze mit Pfarrei- sprengel nicht; auch in Steiermark ist dies nur sehr selten der Fall, jedoch die Archidiakonatsgrenzen sind die der Grafschaften. In Tirol fallen Land- gerichts-, Gemeinde- und Pfarreigrenze zusammen. Neben diesen indirekten Quellen kommen als direkte neben den alten Karten die Grenzbeschreibungen in Frage; sie sind aber sehr verschieden im Wert, weil sie sich oft in zu allgemeinen Ausdrücken ergehen. Der Versuch, durch Grundbuchstudien Korrekturen anzubringen, war in der Steiermark nicht möglich, weil diese hier keine Angaben über die Landgerichte enthalten; eher ließ sich schon mit guten Naturgrenzen Abhilfe schaffen.

Handelte es sich bei diesem Referat um die Mitteilung der quellen- mäßigen Grundlagen und Arbeitsweise für ein abgeschlossen vorliegendes Werk, so stellte uvmittelbar darauf Freiherr v. Karg-Bebenburg (Mün- chen) Dinge zur Diskussion, die sich noch in statu nascendi befinden. Er berichtete über die „Territorienkarte von 1802“ als Teil des Historischen Atlasses von Bayern an der Hand zweier charakteristischer Kartenproben aus Schwaben und der Oberpfalz !). Ziel der Karte ist es, dort die Grenzen der Territorien und nur der niederen Gerichtsbarkeiten, hier die der Terri- torien, hohen und niederen Gerichtsbarkeiten zu ermitteln. Diese Unter- scheidung ist dadurch bedingt, daß das heutige Königreich Bayern aus zwei Ländergruppen von ganz verschiedener staatlicher Entwicklung besteht: die altbayerischen Teile mit der geringen Anzahl vorhandener Territorien sind den ostdeutschen Landschaften zu vergleichen; die schwäbischen, fränkischen und pfälzischen Teile haben dagegen an der westdeutschen Zersplitterung der Staatsgewalt voll teilgenommen; hier auch noch die oberen Gerichte, die keineswegs immer mit den Territorien zusammenfallen, in die Karte auf- zınehmen, hätte deren Übersichtlichkeit stark beeinträchtigt. Dabei bietet sich für Schwaben noch die Schwierigkeit, festzustellen, was ein Territorium ist. Im allgemeinen hat man als Kriterium das Gesetzpublikationsrecht gelten lassen; doch ist das mitunter nicht so ganz sicher, und es sind von Fall zu Fall Kompromisse eingegangen worden.

Die Ermittlung des Grenzverlaufs beruht grundsätzlich auf archivalischer Forschung. Die Quellen bilden zuverlässige, meist handschriftlich überlieferte Karten und Grenzbeschreibungen; daneben werden zur Ergänzung Höfe- rollen, Steuerbücher herangezogen usw. Eine genaue Übersicht über das ver- wandte Quellenmaterial für die Ermittlung jedes Gerichtsbezirks bieten die den Karten beigegebenen Texte. Bei der stellenweisen Verwendung der modernen Gemeindegrenzen muß mit besonderer Vorsicht verfahren werden, weil diese im Laufe des XIX. Jahrhunderts viele, oft tief einschneidende Veränderungen

I) Vgl. Oberbayerisches Archiv (zugleich Forschungen zur Geschichte Bayerns) Rd. 57, S. 322 fi.

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erfahren haben. Ob Straßen und Wald in die Karte mit aufzunehmen sind, darüber ist, so berichtete der Vortragende, noch keine Entscheidung ge- troffen worden. Endlich stellte er die technisch-kartographischen Abwei- chungen fest, die der historische Atlas von Bayern gegenüber dem der öster- reichischen Alpenländer bringen wird.

Darauf schloß Hofrat Redlich die erste Sitzung.

Nachdem am nächsten‘ Tage nachmittags 4 Uhr zunächst Major Frey- tag vom k. und k. Kriegsarchiv auf den reichen, handschriftlichen Karten- schatz hingewiesen hatte, den dieses birgt er setzt ein mit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, findet seine breiteste Ausdehnung zur Zeit des Türkenkrieges 1688—1690 und reicht bis in die Napoleonische Zeit —, ent- wickelte sich eine lebhafte Debatte im Anschluß an den Vortrag Karg-Beben- burgs. Es handelte sich namentlich um technisch-kartographische Erörte- rungen; allgemein wurde der Wunsch ausgesprochen, in die historischen Kartenwerke wohl die Straßen, nicht aber den Waldbestand aufzunehmen, sondern dafür Sonderkarten anzulegen; dagegen waren die Ansichten, ob es sich empfiehlt, auch die Geländezeichnung preiszugeben, geteilt. Allgemeine Zustimmung fand auch die von Archivdirektor Hansen (Köln) ausgehende Anregung, die Beratungen der Konferenz von denen des Historikertages zeitlich zu scheiden, um der Übermüdung der Teilnehmer beider Veranstal- tungen vorzubeugen.

Sodann ergriff als letzter Redner Privatdozent Dr. Jakob Strieder (Leipzig) das Wort zu einem Vortrag über die Sammlung handelsgeschicht- licher Quellen, der sich inhaltlich im wesentlichen mit dem vor einiger Zeit ergangenen Aufruf der Historischen Kommission bei der Königlichen Bayerischen Akademie deckte t). In der sich daran anschließenden lebhaften Diskussion wurde namentlich auf die Unzweckmäßigkeit der geplanten lokalen wie zeitlichen Begrenzung der Publikation hingewiesen.

Zu der für den nächsten Tag, jarr Uhr vormittags, angesetzten Sitzung des engeren Kreises der Institutsvertreter zu Meinungsaustausch über Umfang, Druckkosten und Absatz der Publikationen ist es, wie schon oben angedeutet, nicht gekommen.

Archive. Die Stadt Eger wird in einer Urkunde vom Jahre 1061 zum ersten Male genannt. Von Kaiser Friedrich I. 1179 zur Reichsstadt erhoben, gewann Eger, günstig gelegen an einer uralten Handelsstraße und am Grenzpunkte verschiedener Gebiete, schon frühe eine hohe Bedeutung. Das älteste Urkundenmaterial, dessen Gesamtheit das damalige Stadtarchiv bildete, ging wohl bei dem großen Brande 1270 in Flammen auf. Erhalten hat sich nur als das älteste schriftliche Denkmal eine die Bestätigung früherer Privilegien enthaltende Urkunde König Ottokars vom 4. Mai 1266. Die sich bei dem unmittelbaren Schriftenverkehr mit Kaisern und Königen, Päpsten und Bischöfen, mit unzähligen Ortschaften und dem Adel des alten deutschen Reiches schnell.anhäufenden Urkunden und Akten der Stadt Eger nach 1270 haben ähnlich traurige Schicksale und dieselbe schlimme Verwahrlosung und

1) Vgl. diese Zeitschrift Bd. 14, S. 297—299.

Vernachlässigung erfahren wie die Archivalien so mancher anderen Stadt. In verschiedenen Gewölben und Dachbodenräumen lagen die wertvollsten Pergamente jahrhundertelang zerstreut unter Staub und Ruß, nur die Privi- legien blieben in zwei eisernen Kisten verwahrt. Nach Erbauung des neuen Rathauses 1728 wurde nur ein kleiner Teil der Urkunden in einem kleinen Gemach untergebracht, die größere Masse wanderte auf den Dachboden. Als 1850 nach Einführung der k. k. Gerichte die Stadtgemeinde das Rathaus dem Staat überließ und das jetzige Stadthaus bezog, wanderten wegen Platz- mangels die Urkundenschätze korbweise wieder auf die Bodenräume des Stadt- hauses und lagen hier massenweise in ungeordneten Haufen durcheinander. Bei den Überräumungen in den Jahren 1728 und 1850 mag manches wert- volle Stück verschleppt und verschleudert worden sein. Nach einem zwei- maligen weiteren Wechsel der Archivräume 1865 und 1892 fand das Archiv ı912 endlich eine würdige Unterkunft in dem 1268 gegründeten und 1782 aufgehobenen Stifte St. Klara, das von 1816—1908 als Gefangenhaus ge- dient hatte. Es füllt fünf Räume, die der Frühzeit des Klarissinnenordens

angehören. Das Egerer Stadtarchiv zählt zu den hervorragendsten städtischen Archiven Österreichs und Deutschlands. Seine reichen Schätze seit 1895 ge-

ordnet und der wissenschaftlichen Forschung nutzbar gemacht zu haben, ist das Verdienst des Egerer Archivdirektors, des Regierungsrats Dr. Karl Sıegl, der neben dem Archiv auch die Ratsbibliothek und das Museum der Stadt verwaltet. Seine allzeit hilfsbereite Gefälligkeit, die begeisterte Hin- gabe an sein Amt, seine erstaunliche Arbeitskraft, peinliche Gewissenhaftig- keit und umfassende historische Bildung machen ihn zum vorbildlichen Muster eines Archiwleiters. Mit einem Fleiße, der nicht zu übertreffen ist, hat er ohne Mitarbeiter und Hilfskräfte das Egerer Archiv, das trotz mehrerer Ansätze zur Neugestaltung (mit Ehren sind unter seinen Vorgängern Prof. Dr. Franz Kürschner und der Egerländer Sprachforscher Heinrich Gradi zu nennen) der Ordnung und Benutzbarkeit entbehrte, zu einem der best- geordneten Stadtarchive gemacht. Tausende von Urkunden und verstaubten Aktenbündeln, in denen er viele wichtige, nicht hineingehörige alte Urkunden und Wiegendrucke fand, hat er zum ersten Male geöffnet und katalogisiert.

Das Egerer Stadtarchiv besitzt gegen 100000 handschriftliche Stücke, darunter über 3000 Pergamente, 2500 Kaiser- und Königsbriefe mit mehreren goldenen Bullen, sämtlich im Original, und etwa 10000 handschriftliche Bücher. Das helle und stimmungsvolle Arbeitszimmer des Archivdirektors, dessen Ge- wölbedecken eine mächtige romanische Säule trägt, enthält einen Teil der alten Ratsbibliothek und in einem eingemauerten eisernen Schrank u. a. die Egerer Privilegien von 1266 an mit den Goldbullen, die ältesten Egerer Stadtgesetze (1352), die Achtbücher des Egerer Schöffengerichts, die, mit 1310 beginnend, zu den ältesten derartigen Rechtsdenkmälern gehören, die Urgichtenbücher, in denen die während der Tortur niedergeschriebenen Aus- sagen (urgichte) der Gefolterten !) verzeichnet sind, 23 bis ins XVI. Jahr-

1) In den „Ausgabsbüchern‘“ finden sich u. a. die Ausgaben „für Wein, Bier und Heringe‘“ für die Richter und Schöppen bei den Folterungen, Ausgaben für Verbren- nungen, Räderungen usw. von Übeltätern.

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hundert hinaufreichende handschriftliche Chroniken der Stadt u. a. m. Viele von diesen kostbaren Schriftdenkmälern, in verschiedenen Werken früher als „verloren‘‘ bezeichnet, sind erst durch die Bemühungen Siegls in anderen Archiven und Bibliotheken wieder aufgefunden und ihrer alten Heimat zu- geführt worden. Das einstmalige Refektorium der Klarissinnen neben dem Direktorialzimmer enthält das eigentliche, überraschend reichhaltige Archiv. In mehreren rings an den Wänden angebrachten, mit Rolläden verschließ- baren Nischen liegen die Pergamenturkunden, jede einzeln in einem Lein- wandumschlag, das Siegel noch besonders in mit Watte gefüllte Schachteln eingebettet. Jeder Umschlag enthält das Datum und die Katalognummer. Auf hohen Gestellen stehen die Verwaltungsbücher der Stadt, die meisten in einer Vollständigkeit und Lückenlosigkeit, wie sie anderswo nicht oft zu finden sein dürfte. Ausgabsbücher (1390—1799), Bernbücher (1543 1652: von berna, bern = Abgabe, Steuer, d. i. die an den König zu leistenden Steuern), Grundbücher (1618ff.), Kopialbücher (mehrere noch aus dem Mittelalter, dann von 1515—1803 lückenlos), Losungsbücher, in denen die an die Stadt zu leistenden Steuern der städtischen Untertanen verzeichnet sind (1390—1758), Rechnungen von Kirchen, Klöstern, Schulen, dem Deutschen Orden, Klosteuerbücher 1392 1789 (= Steueranlagen von den städtischen Untertanen auf dem Lande, die nach der Anzahl der „Klauen“, [ahd Aldwa, chlöa], d. i. der Haustiere berechnet wurden), Pro- klamabücher 1562—1790, Protokolle allerart 1504—1756, Register (Unter- lagen zu den Ausgabsbüchern) 1395— 1768, Stadtbücher bzw. Schuldprotokolle 1387—1496, die eigentlichen Stadtbücher (Ratsbeschlüsse) von 1545—1787 (im Stadtbuch 1634 die amtliche Beurkundung der Ermordung Wallensteins und seiner Offiziere), Umgeldbücher 1442—1765 (Umgeld, Ungeld = Ab- gaben für Wein, Bier usw.), Türkensteuer- Einnahmsbücher v. J. 1544 (von Geistlichkeit, Adel, Bürgerschaft und Landvolk), Urbarien, Zinsbücher, Zunft- bücher u. a. m. In zahlreichen Doppelschränken sind die Papierhandschriften aufbewahrt in vielen Hunderten von Faszikeln, alle nach Stoffen von Siegl genau geordnet. Die Akten des Dreißigjährigen Kriegs füllen allein einen ganzen Schrank. Mehrere Foliobände umfassen die von Siegl hergestellten Regesten und die Auszüge aus den Handschriften und handschriftlichen Büchern, durch die den Forschern viel Zeit und Mühe erspart wird. In einem 388 Folioseiten starken Druckwerke: Die Kataloge des Egerer Stadt- archivs (Eger 1900; besprochen in dieser Zeitschrift ı. Bd. [1900], S. 297— 298) hat Siegl die Urkunden, Akten und Handschriftenbücher sach- kundig zusammengestellt; aus diesem übersichtlichen Katalog ist leicht zu ersehen, daß das Egerer Stadtarchiv eine geschichtliche Fundquelle ersten Ranges ist: in. den Kapiteln „Die Beziehungen der Stadt Eger und des Egerlandes nach auswärts“ sind außer Österreich nahezu alle deutschen Land- schaften, die Schweiz und Belgien vertreten; für die Geschichte der deutschen Fürstenhäuser, der Dynasten- und Herrengeschlechter, für Adels- und Orts- geschichte bietet das Archiv eine reiche Ausbeute, besonders gut bedacht sind Sachsen und Thüringen, der bayrische und der fränkische Kreis.

Das ihm anvertraute Archiv mit seinen wertvollen Schätzen ist für Siegl die Fundgrube für zahlreiche Veröffentlichungen geworden. Sie behandeln u. a. die Geschichte und Kulturgeschichte der Stadt und Burg Eger und

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des Egerlandes, die Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen, Zunftwesen, Münzwesen und die Geschichte Wallensteins, für die er mancherlei vorher un- bekannte Quellen erschlossen hat. Reinhold Hofmann (Zwickau).

Geschichtslehrervereinigung. Auf der letzten Philologentagung in Marburg ist ein Verband deutscher Geschichtslehrer gegründet wor- den. Die von über 5o Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands besuchte erste Versammlung verlief in der erwünschtesten Weise. Aus den anregen- den Vorträgen und lebhaften Debatten ergab sich die einmütige Überzeugung der Anwesenden, daß die historische Unterweisung der Jugend, auf der sich die staatsbürgerliche aufbaut, eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Schule ist, und der ernste Wille, an der Vervollkommnung dieses Unter- richts kräftig mitzuarbeiten. Lehrer aller Schularten sind als Mitglieder will- kommen; erfreulicherweise haben auch eine Anzahl Universitätsprofessoren durch sofortigen Beitritt ihr Interesse bekundet. Zum ersten Vorsitzenden wurde Gymnasialdirektor Neubauer (Frankfurt a. M.) gewählt. Stellvertreter ist Universitätsprofessor Bernheim (Greifswald). Anmeldungen sind an den ersten Schriftführer, Lehrer Walter Behrendt (Leipzig-Schönefeld, Stöckel- straße 6) zu richten, der Jahresbeitrag von 2 .# an den ersten Schatzmeister, Oberlehrer Dr. P. Rühlmann (Leipzig, Lampestraße 7) zu senden.

Eingegangene Bücher.

Krause, Ludwig: Zur Entwickelung der Haus-, Hand- und Handelsmarken [= Beiträge gur Geschichte der Stadt Rostock, hggb. vom Verein für Rostocks Altertümer 7. Bd. (1913), S. 77—80].

Lahusen, Johannes: Die Siegel der Grafen von Freiburg. Freiburg i. B., Fr. Wagner 1913. 24 S. 8%. A 0,90.

Menghin, Oswald: Eine spätneolithische Station bei Melk (Niederösterreich) [> Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Bd. 43 (der dritten Folge Bd 13), S. 94—103].

Meier, Paul Jonas: Niedersächsischer Städteatlas, im Auftrage der historischen Kommission für Niedersachsen herausgegeben. I. Abteilung: Die Städte des Herzogtums Braunschweig. Probeheft: Holzminden. Braunschweig und Berlin, George Westermann 1913. 2 Blätter und 3 S. Text,

Naumann: Zur Geschichte der Archidiakonate Thüringens. [== Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte in der Proving Sachsen, 9. Jahrgang (1912), S. 155—206].

Pirenne, Henri: Geschichte Belgiens. Deutsche Übersetzung von Fritz Arnheim. Vierter Band: Von der Ankunft des Herzogs von Alba (1567) bis zum Frieden von Münster (1648). Gotha, Friedrich Andreas Perthes, A.-G. 1913. 655 S. 80%. Ææ 16,00.

Schulz-Minden, Walther: Das germanische Haus in vorgeschichtlicher Zeit. Mit 48 Abbildungen im Text. [= Mannus-Bibliothek, hggb. von Gustaf Kossinna, Nr. 11]. Würzburg, Curt Kabitzsch 1913. 128 S. 8%. M 4,00.

Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden. Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.

Deutsche Geschichtsblätter

Monatsschrift Eriorschung dentscher Vergangenheit anf Jandesgeschichtlicher Grundlage XV. Band Dezember 1913 3. Heft

Die Sisediungs- und Bevölkerungsverhält- nisse im ehemaligen Amt Birkenfeld

Von Wilhelm Fabricius (Darmstadt)

Der mittlere Teil des jetzigen Fürstentums Birkenfeld, der zum Her- zogtum Oldenburg gehörigen Enklave in der preußischen Rheinprovinz, bildete im Mittelalter das zur hinteren Grafschaft Sponheim gehörige Amt Birkenfeld, zu welchem auch noch einige Gemarkungen der preußischen Landkreise Trier und St. Wendel gerechnet werden müssen.

Die erhaltenen statistischen Quellen ermöglichen eine Nach- prüfung der kürzlich von Gustav Strakosch -Graßmann (Wien) auf- gestellten Behauptung, daß die Landbevölkerung Deutschlands mit Ausschluß der in irgendeiner Industrie tätigen Leute seit Jahr- hunderten in der Hauptsache stationär geblieben sei !).

Zwar ist die Gegend von Birkenfeld heute durchaus nicht ohne Industrie, die Oberstein-Idarer Edelsteinschleiferei ist bekannt, und auch die Eisenwerke Abenteuer und Börfink-Muhl haben eine Zeitlang auf die Bevölkerungsverhältnisse eingewirkt. Doch sind in den meisten Gemeinden wohl immer Ackerbau und Viehzucht die Haupterwerbs- quellen geblieben 2).

Die älteste Nachricht über die Orte Birkenfeld und Nieder-Brom- bach findet sich in der Urkunde des Trierer Erzbischofs Ekebert 3), nach welcher der Herzog Liutwin, später Erzbischof von Trier (695 bis 713), dem Trierer Paulinsstift Güter in Branbach und Birkenvelt mit den Kirchen und allen anderen Zubehörungen geschenkt habe, die dem Stift von Ekebert nicht mehr zurückgegeben werden konnten,

1) Deutsche Geschichtsblätter 14. Bd. (1913), S. 285 fi.

2) A.E.J. Barnstedt: Geographisch- historisch -statistische Beschreibung des Großherzoglich Oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld (Birkenfeld 1845). H. Baldes und P. Weßner: Birkenfelder Heimatkunde (Birkenfeld 1911).

3) Mittelrheinisches Urkundenbuch 1, S. 311 Nr. 255.

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58

da sie inzwischen entweder zum erzbischöflichen Tafelgut geschlagen oder zu Lehen vergeben worden waren.

Am Ende des XII. Jahrhunderts gibt der Liber annalium iurium archiepiscopi et ecclesie Trevirensis eine ausführliche Darstellung der Besitzungen und Rechte der Trierer Erzbischöfe in den Bännen Birkenfeld und Brombach !). Im Banne Birkenfeld hatte der Erzbischof 16 Hufen, außerdem ı Hufe zu Sötern. 24 Hufen daselbst gehörten Unterbeamten des Schultheißen, dem sie dafür zu Diensten verpflichtet waren. 44 Hufen gehörten zum officium villicationis. Im Banne Brombach hatte der Erzbischof 36 Hufen, von denen 10 dem Schult- heißen zinsbar waren. Auch hier hatten die Unterbeamten 24 Hufen. Bei Malbruch (Malborn) lag der Wald Idere, der sich in der Länge von Wizuloz (Wiesfloß, unbestimmbar) bis zum Howeburne (unbestimm- bar) und in der Breite von Bulenbrech (Buhlenberg) bis Malborn er- streckte. Der Graf von Sponheim war Vogt dieses Waldes und hatte ihn zu schützen. Auch der Wald Camirvorst gehörte dem Erzbischof. Hier hatte der Graf keine Rechte.

Der Bezirk des erzbischöflichen Gebietes vom Banne Birkenvelt und Branbach fing bei .Brunichenburne (Breungenborn in der Winter- hauch) an und reichte über Richenback (Reichenbach), Aldena (Alten- Nahe, jetzt Nohen), durch den Wald Dureholz (jetzt Brand) bis zur Brücke von Isena (Eisen) ?).

Der Graf von Sponheim war Vogt im ganzen Banne Birkenfeld und empfing für diesen Dienst eine bestimmte Besoldung in Naturalien. Er hatte im Auftrag des Erzbischofs zu richten über jeden Frevel, der vor ihn gebracht wurde. Von den Gerichtsbußen vom Banne Birkenfeld und Brombach empfing der Erzbischof zwei Teile, der Graf den dritten. Die ganze Gerichtsbarkeit vom Banne Birkenfeld und Brombach gehörte dem Erzbischof, und sein Schultheiß sollte immer | Richter sein, außer in den Fällen, wo er freiwillig den Vogt herbeirief. Der Vogt aber sollte dreimal im Jahre dem Gericht vorsitzen, das man (echtes) Ding nennt.

In Inglinheim wohnten vier Fischer, die gehalten waren, für den Erzbischof jederzeit, wann er es wollte; zu fischen in der Drogene

1) Mittelrheinisches Urkundenbuch U, S. 409. Nach Keutgen: Ämter und Zünfte, S. 102 ist dieses erzstiftliche Urbar zwischen 1180 und 1190 entstanden. Vgl. Westdeutsche Zeitschrift, Ergänzungsheft 13 (1906): F. Rörig, Die Entstehung der Landeshoheit des Trierer Erzbischofs, S. $.

2) Nur die Südgrenze wird in groben Zügen angegeben, die Nordgrenze bildete der Idarwald.

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(Traun) und in der Na (Nahe). Und diese Fischerei des Erzbischofs reichte von der Virmerisbach (unbekannt) bis zur Mündung der Suus- bach (Siesbach) in die Nahe und von da bis Hamerswilre (Hammer- stein), und nach der anderen Richtung von Ellenwilre (Ellweiler an der Traun) bis Dagebrechdeswac (Dagoberts "Woog, unbekannt, wohl an der oberen Traun zu suchen).

Damals war also das Eızstift Trier im Besitz der Bannherrschaft zu Birkenfeld und Brombach, der Graf von Sponheim war als Vogt berechtigt, dreimal im Jahr echtes Ding zu halten und sonst nur ein- zugreifen, wenn der erzbischöfliche Schultheiß ihn rief. Er hatte außer einer geringen Naturalbesoldung ein Drittel der Gerichtsgefälle. Von besonderen Vogtleuten, die ihm Abgaben zahlten, ist in dem Liber amalium iurium nicht die Rede.

1311 hatte Graf Johann von Sponheim über die Bede in Birkenfeld zu verfügen !). Diese Abgabe wurde ursprünglich von Gemeinfreien er- beten, dann aber ständig erhoben. Es müssen also außer den trierischen Hörgen auch ursprünglich Gemeinfreie in dem Gebiet gewohnt haben, über die nicht der Erzbischof, sondern der Graf an seinen drei Ding- tagen zu richten hatte.

Als der Erzbischof die Banngewalt auf den ganzen Birkenfeld- Brombacher Bann beanspruchte und den Grafen für gewöhnlich daraus verdrängt und seine Rechte auf die des Vogtes beschränkt hatte, wie sie in dem Liber annalium iurium ihm zugestanden werden, wurden aus den Gemeinfreien die sponheimischen Vogtleute, die zu einer Abgabe von Hafer und Hühnern an den Grafen verpflichtet waren. Beide Gewalthaber, der Erzbischof und der Vogt, bekämpften einander, und der Gegensatz führte 1326 zu einer Fehde, in deren Verlauf der Erzbischof Baldewin auf dem Banne von Birkenfeld eine Burg errichtete. Die Gräfin Loretta von Sponheim, die damals die Regierung für ihren unmündigen Sohn führte, wurde durch den Erz- bischof zu einem Waffenstillstand genötigt. Aber bald darauf überfiel sie den Kirchenfürsten auf der Mosel auf einer Fahrt von Trier nach Koblenz und hielt ihn 9 Monate lang auf der Starkenburg bei Trar- bach gefangen, bis sich Baldewin am 7. Juni 1328 zu einem Vertrag verstand, worin er die angefangene Burg bei Birkenfeld der Gräfin überließ, und versprach, daß Kurtrier keine Burg mehr auf sponheimi- schem Gebiet bauen wolle. Auch der Rest der trierischen Gülten und Einkünfte zu Birkenfeld sollte zum Lehen der Grafen von Spon-

1) J. G. Lehmann: Geschichte der Grafen von Sponheim II, S. 22. 5*

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heim geschlagen werden !). Von dem Lösegeld, das der Erzbischof zu zahlen hatte, errichtete Loretta die Frauenburg an der Nahe, wo sie nach Abgabe der Regierung an ihren Sohn ihren Witwensitz hatte. Sie erhielt dazu nach der Urkunde vom 20. September 1331 eine Rente von 500 Pfund auf die Dörfer Brainbach (Nieder-Brombach), Richenbach und Nain (Nohen) und zugehörige Orte. Am 27. Dezember 1332 gestattete Kaiser Ludwig der Bayer, die Taldörfer Birkenfeld und Frauenberg zu befestigen, und erteilte ihnen städtische Freiheiten ?).

Anfangs waren noch andere Herren an den grundherrlichen Rechten in einzelnen Dörfern beteiligt. Diese Besitzungen wurden nach und nach von den Grafen von Sponheim erworben. So brachten sie 1269 die Dörfer Birkenfeld und Rinzenberg von den Herren von Schwarzenberg an sich, vor 1281 das Allodium Rychenbach (das da- mals als neuerworbenes Gut dem Grafen von Luxemburg zu Lehen aufgetragen wurde) und 1332 das Dorf Siesbach, zu dem auch Güter in Leisel, Brombach, Hußweiler und Nockenthal gehörten ?). Noch 1438 waren die 7 Erbhöfe zu Eborn, die 5 Erben zu Klaffweiler und die 4 Erben zu Bernbach an andere Herren zinspflichtig, mußten aber dem Grafen von Sponheim Landfrone leisten, Bede, Vogthafer und Vogthühner abgeben 4).

Von der trierischen Herrschaft über Birkenfeld war nur die Lehens- hoheit übrig geblieben, die tatsächliche Gewalt war an die Grafen von Sponheim gekommen, und das Amt Birkenfeld teilte nun die Ge- schicke dieser Grafschaft 5).

Die älteste Bevölkerungsliste der Pflege Birkenfeld aus dem Jahr 1367 wird im Reichsarchiv zu München aufbewahrt (E 5153 Nr. 4). MCCCLXVI. Diz sint die lude in Birkenfelder banne gesessen, die voithunre und voithaber gent:

Zu Isenahen Manch, item Ny, 2 item zu Draunen Thomas, item Hücgen, item Tilman, item Hennys, item Bupemal Hans, item Sengenbusch wip, item Thomas 7 item Marcman von Leygen, item Mülner von Leygen 2 item Heincz von Runczenberg, item Sumer von Runczenberg, item Henckin Lauber, item Diele Prüme 4

ı) Lehmann a. a. O. II, S. 35. Günther, Codex diplomaticus Rheno- Mosellanus II, S. 256.

2) Lehmann a. a. O. II, S. 44. 39.

3) Baldes u. Weßner: Heimatkunde, S. 31. Mittelrheinische Regesten IV, S. 851.

4) Gültbuch der Grafschaft Sponheim im Staatsarchiv Koblenz.

5) Fabricius: Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz II, S. 436—439. |

u. Gl.

item Wilkin (von) Wilwilre I

item Kacher von Bulenberg, item Schenckel, item Arnold von Bulenberg 3 item Kempe von Etzwilre I

item Waghener von Runtzenberg, item Heincz Cunen son von Runczen- berg, item Peter von Runczenberg, item Benczers, item Jacob an dem Ende, item Cone Crul 6 item Hans von Ellenberg, item Swartz, item Henckin Schele, item Lade 4 item Henkin Treuer von Veckelare, item Tyne, item Cleschin, item Fuck, item Henckin Rocken, item Henckin Bruchman, item Lyfmod, item Wanckenrader 8 item Stoizel von Birckenfelt, item Eckart, item Hans Peffgin, item Lodi- wich, item Pasche, item Heincz Bruchman, item Kathe die wirtin, item Henckin Groze, item Clesgin inmitten in dem dorff, item Grove, item Rusebartz dochter, item Crul, item Norte, item Clas schumecher, item der Wise, item Kube, item Pust, item Wynant der Metzeler, item Heinrich uff dem Reche, item Kubirsse, item Tyne uff dem Reche 21 item Clais Schriver von Dientzwilre, (item Peter von Dienczwilre) t), item

Henckin Dielen Knecht 2 (3) item Lechelman von Staffel, item Peter, item Else 3 item Henckin Buscman von Ebernohe I

item Clas Meyger von Eynscheit, item Greve von Einscheit, item Jacob,

item Wynant, item Fiele, item Henckin Baldewins son, item Ungenade. 7 Summa 71, ane die scheffen und gesworrene, und die den ez min herre gelaizen hait, daz ist Ny der blinde von Isenahe, Noz, Kurtzhals, Scherer.

Die nächste Liste ist in dem Gültbuch der Grafschaft Sponheim vom Jahre 1438 im Staatsarchiv Koblenz (Akten der Grafschaft Spon- heim 291r III 3) enthalten.

Hier heißt es: Item in der obgenanten (Birckenfelder) pflege ge- fallent zu fauthabern 10 mir 1 fasse von den luden, die ir huszgesesse hand, und der sind 35 in derselben pflege, der ist 7 husz fry, das sind scheffen und budel.

Zwischen 1367 und 1438 ist also die seßhafte Bevölkerung auf die Hälfte zurückgegangen.

Noch trauriger sind die Bemerkungen über die einzelnen Ort- schaften: Es ligent in der obgenanten pflege dise nachgeschr. dorffer und zincken, der sind eins teils wuste und werdent doch der gutter und erben etliche gebuwet und verzinset, als hernach begriffen ist:

Item zu Bulemberg, Winwilr, Runtzemberg und Etzwilr ligent 29 erben, der ligent 19 wust, die sint mines herren, von den andern zehen erben fellet zu zins ... und sind zu Bulemberg 3 huszgesesse, 4 huszgesesse zu Runtzemberg, die andern ligent wust. (Von diesen Ortschaften ist nur Buhlenberg noch vorhanden, Alt-Rinzenberg lag in Flur 19 der Ge-

1) Durchgestrichen.

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markung Buhlenberg und in der Flur § der Gemarkung Abentheuer, Vorderst- und Hinderst-Etzweiler in den Fluren 4 und 5 der Gemarkung Buhlenberg; Winweiler, das dem 1367 genannten Wilwilre entspricht, ist verschollen.) i

Item Vackler und Runtzemberg ligent 18 erbe, der lijt eins wust in mins herren hand, von den andern 17 erben fellet zins ... (die jetzigen Gemeinden Feckweiler und Rinzenberg).

Item zu Gulderberg ligent 14 erbe, der ligent in mins herren hand 4 erbe, von den uberigen fellet zu zins ... (Gollenberg).

Item zu Ysenauw ligent r4 erbe, da ist das ein in mins herren handen, da sol man nach herfarung han. Von den andern 13 erben fellet jars der herrschaft . . (Eisen).

Item zu Draunen, Brucken ligent zwey erbe, davon fellet zu gulte ... (Brücken, Traunen, das aber außerhalb des Amtes liegt.)

Item Rumpmail, Uffhofen und Huntzwilr ligent wust in mins herren handen. (Von diesen Wüstungen kann nur Hinzweiler festgestellt werden. Nach der Grenzbeschreibung des Amts Birkenfeld im Weistum von 1481 muß Hinzweiler in der Gegend von Achtelsbach an der Grenze des Amts Birkenfeld gelegen haben. Dort liegt jetzt in der Gemarkung Brücken Flur ı und 2 ein Distrikt „Hinzhausen“, dagegen in Flur 3 die „Hinzeler Wiese“. Uffhofen und Rumpmail werden in derselben Gegend, etwa in der Gemarkung Abentheuer gesucht werden müssen das Eisen- werk dieses Namens wird erst später erwähnt).

Item zu Birckenfelt und Elchwilre ligent 15 erbe, der ligent 3 wust in handen mins herren, von den uberigen 12 erben fallen zu zinsz ... (Elchweiler wird sonst zur Brombacher Pflege gerechnet.)

Item zu Staffeln ligent 7 erbe in mins herren handen und da wonet nyemant. (Der Staffeler Hof ın der Gemarkung Dienstweiler-Eborn war später wieder und noch im XIX. Jahrhundert bewohnt.)

Item zu Ebernae ist wust, und da ligent 7 erbe, die nit der herr- schafft sint, dieselben erbe werdent doch von anderen luten gebuwen, und wann lute ir wonung da hettent, die sollent der herrschafft hohe und nydder dienen mit bett und anderen dingen, wiewol die erbe anderer lute sind. (Ebernae ist das jetzige Eborn.)

Item zu Dyntzwilr hat min herre % erbe in sinen handen, und ligend 73 erbe da, die werdent der herrschafft nit verzinset, dann die, die sie innhand, sind knechte zu Birckenfelt im slosse, nemlichen Nosz der wirt, der keller und Henne von Duntzwiler, die gbent auch kein bette., (Dienst- weiler.)

Item Leyen daz dorff lijt gantz wust in mins herren handen. („Leyen uff der Dronen gelegen“ kommt neben alden Runtzenberg, Huntzwilre und Burne in einem kurtrierischen Lehensbrief für Claus von Birkenfeld vom 5 Juni 1387 vor. Es lag in der Gemarkung Brücken am Einfluß der Leyenbach in die Traun. Trierisches Kopialbuch im Staatsarchiv Koblenz V. 600.)

Ferner wird das Gut zu Eynscheit erwähnt, dessen Pacht erhöht werden könnte. Jahrmärkte wurden zu dem Heiligen Bosch (Kirche Heiligenbusch), in Birkenfeld, Nieder-Brombach und Naen (Nohen) ge-

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halten. Wüste Erbe lagen noch zu Ingelnheim, Rumpmail, Huntzwilre, Leyen, Uffhofen und Borne, die 18 Wagen Heu ertrugen. Ingelnheim ist der Ort, wo die Erzbischöfe von Trier nach dem „Liber annalium iurium‘“ vier Fischer wohnen hatten, die in der Traun und in der Nahe fischen sollten. Da es hier mit Hinzweiler (Hinzeler) und Leyen zu- sammen genannt ist, muß es in der Gemarkung Brücken oder Abentheuer liegen. Es ist wahrscheinlich, daß in dem Distriktsnamen „Engeln“ in Brücken Flur ıı sich der Name Engelnheim verkürzt erhalten hat. Die Ansiedlung ‚Born‘ könnte in der Bornwiese (Abentheuer Flur 6) gelegen haben, aber der Name ist zu wenig Eigenname, um darauf ganz sicher eine Vermutung bauen zu können.

Die „Erben“, von denen in dieser Aufstellung gesprochen wird, snd doch wohl die Vollbauerstellen, die Hufen, in welche das Land nach vollendeter Siedlung verteilt worden war. Sie müssen älter sein als 1367, denn in dem damaligen Steuerverzeichnis läßt sich schon dass Wüstwerden einiger Ortschaften bemerken. Daß sie zur Zeit des Liber annalium iurium um 1190 schon vorhanden waren, läßt sich aus den Angaben über die dem Eiızstift Trier gehörigen Hufen nicht widerlegen, da ja neben ihnen auch andere Hufen dagewesen sein können. Denn sonst wäre für die Bede und das echte Ding des Grafen kein Rechtsgrund gewesen, und Trier hätte volle Immunität und später Landeshoheit dort entwickelt, da das Land von Trier aus doch leicht . erreicht und beherrscht werden konnte. Es darf daher angenommen werden, daß die Verteilung des Landes in die „Erben“ in sehr alte Zeit zurückreicht und den Zustand nach Vollendung der Rodungen darstellt. In dem Gültbuch sind in der Pflege Birkenfeld 114 solcher Erben erwähnt, zu denen noch die in den ganz wüst gewordenen Ge- meinden kommen. So fehlen die Angaben über die Erben in Leyen, Hunzwiler, Ingelheim, Uffhofen, Rumpmail, Born und Ein- scheid. Es können daher ursprünglich noch mehr solcher Bauern- stellen dagewesen sein. Nimmt man die Fläche des zu Ackerland geeigneten Bodens jetzt sind in diesen Gemarkungen ungefähr 1800 ha Ackerland und über 1500 ha Wiesen —, so wird man finden, daß für 120 Hufen zu 30 Morgen (höchstens etwa 12 ha) ausreichend Land vorhanden ist. Es kann nun sein, daß die Güte dieses so verteilten Landes nicht genügend war, um mit den Mitteln der damaligen Land- wirtschaft den Besitzern auskömmlichen Unterhalt zu gewähren, und darum der starke Rückgang der Bevölkerung erfolgen mußte. Aber ganz erklären kann ich diese Tatsache nicht, da mir keine Nachrichten über die Ursachen, etwa von einer Pest oder einer Kriegsverheerung oder großen Auswanderung, bekannt sind.

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Das Schatzungsregister der hinteren Grafschaft Sponheim von 1465 im Staatsarchiv Koblenz (Sponheim, Akten 315) zählt in Birken- felder Banne wieder 73 Namen auf, ohne bei jedem den Wohnort zu nennen; gelegentlich werden dort die Ortschaften Feckler, Ryntzen- berg, Elwiler, Gollenberg, Ellenberg, Dyentzwiler, Birkenfeld, Ryms- berg, Robmar !) (?), Brück, Drön, Ysen und Bolenberg genannt, ohne daß sich genau erkennen läßt, ob damit der Wohnort oder die Her- kunft (als Bestandteil des Namens) angegeben ist. Bezeichnungen, wie am „Stade“, „uff dem Wyger“, die je zweimal vorkommen, sind doch wohl mehr als Zunamen zu betrachten. Von den 73 Besteuerten zahlte einer nichts, da er völlig arm war, zehn zahlten 6 Albus, elf

ı) Vielleicht der im Gültbuch 1438 Rumpmail oder Rupmal genannte Hof, der jetzt ganz verschollen zu sein scheint,

Flächeninhalt

A (moderner Kataster) Erben Pflege Birkenfeld e ae e .. 1438 Gemeinden und (eingerückt) y a 3 AE Is a Wüstangen und Nebenorte. Fi: 7 z am z t E , O g O v Sa > o o O E Age > > > > 53 | Birkenfeld . . . . .| 1200 397 439 264| 2I ? I5 3 I2 Burg-Birkenfeld . . . 74 37 090 8 ? ee Feckweiler . . . . . 77 22 46 I) 8 2 a p Rinzenberg . . . . .|1123 134 115 855| 6 2 l 7 Buhlenberg . er 3 3 Alt-Rinzenber Winnweiler z . | 844 184 187 446 l Wist = AD -O Etzweiler . D e ı Wüst Gollenberg . . . . .| 325 142 96 74 ? I4 4 IO Eisen. . . . .| 753 261 182 285 2 ? 14 I I3 Brücken, Traunen. 985 155 161 0648; 7 ? 2 2 Leyen, Ingelnheim, Hinz- 2 Wüst. ? weiler (-hausen), Rump- Wüst. ? mail, Born, Uffhofen. Wüst. ? Abentheuer, Eisenhütte . 612 65 124 398|noch nicht erwähnt Dienstweiler . Kr I ? 8 4 7% Staffelhof. . . . . | 669 334 87 178|) 3 Wüst. 7 7 Ebom . . 2.2.20. ı Wüst. 7

Börfink-Muhl

: noch nicht vorhanden Einscheider Hof

j \1120 67 83 946 7 9 | 1 Hof 7782 1798 1539 4103| 67 35 | 114 35} 78 4

Ellenberg

71

en. 65

1l, Gulden, sechs 1 Gulden, drei ı$ Gulden, elf 2 Gulden, zwölf 3 Gulden, zwei 4 Gulden, neun 5 Gulden, zwei 6 Gulden, zwei 8 Gulden und je einer 9, IO, 15, 25 Gulden. Veranschlagt war die Schatzung auf den 20. Pfennig, also 5 Prozent wahrscheinlich des Wertes von Grundbesitz und Gebäuden. Mit einem Steuersatz von 6 Albus bis 1} Gulden waren 30 Hlaushaltungen, von 2 bis 5 Gulden 34 Haus- haltungen, und von 6 bis 25 Gulden 8 Haushaltungen belegt. Auf- fallend ist der Zuwachs von 35 auf 73 Haushaltungen von 1438 bis 1465 innerhalb 27 Jahren. Entweder haben die neuen Herren der Grafschaft Sponheim (der Pfalzgraf zu Simmern und der Markgraf von Baden) eine Neubesiedlung der „in des Herren Hand“ liegenden wüsten Bauernstellen vorgenommen, oder es ist 1438 nicht die ganze Bevölkerung gezählt worden.

| Haushaltungen | Einwohner { S o n u O S a g T g @ $ Mee ul er > a > e a a ee ' 46 7O 53 50 94 145 160 ı81 555 |426 970 2239 2294 > 5 I} 24 26 20 33| 64 105 185 122 AS Zi == 5 ? 23 22 3I 36| 30 131 203 154 ? 12 17 6 6 II 30 29 33 45 | 61 16I 256 189 "26 33 II ı2 30 47 50 57 97|123 260 387 424 135.19 5 8 I5 31 32 29 24| 89 122 157 117 9 13 6 18 24 39 51 75| 73 250 398 390 = 2745 26 16 27 47 49 52 131,127 293 483 593 |z 6 17 3 II I5 16 36 66 | 35 150 450 308 8 1718 22 62) 128 P ~ 2 9 3 15 30 a | 134 asien g a a g e i 1 66! en Fer 2 Nyr n N 341 a ERBE TE NEETIRRWEEEE VEEEEEE NIEREN SUGIERNE NEL Aue REEE OR BEER EEE NE BEER SEE BERCHIEANE RS ERNERREREEN. Ka mn EBERLE. SRRRE ER RHEIN IR EEE , |73 189 236 87 123 232 419 447 533 1165 |1113 2746 5090

1) Hütten- und Waldleute. Über diese „Waldhüttendörfer‘ vgl. Otto Beck: Beschreibung des Regierungsbeeirks Trier (Trier 1869) II, 1. S. 202 ff.

Pflege Brombach

Gemeinden und feingerückt) Wüstungen und Nebenorte.

(t) E 5 x bus a z © O e £

ha Ackerland

ha Wiesen

ha Wald

Erben

Nieder-Brombach, Brambach Rytwiler . ; } Böschweiler, Bußwilre f Burbach, Burpach Elchweiler, Elchwilre Ellenberg, Ellemberg . Atzemberg . i Hechtwiler . Hambach Hattgenstein i Heupweiler, Hupwiler, Hupel Hußweiler, Huntswiler, Hunsweiler . Kronweiler, Cromel, Cromweiler Leisel, Lusseln Reynchwiler Huwiler . . f Hof Heiligenbusch (Wallfahrtskirche) Nockenthal, Nockendal : i Ober-Brombach, Obern-Brambach . Rötsweiler, Retzwilre ; Huntzhusen . Klaffwiler

Hirtzenbach ; Schmißberg, Smiszberg Schwollen, Swallen . . . Siesbach, Oberm-Synsbach

Nydern-Synsbach. Wilzenberg, Dee,

Sprengwiler. :

Geinswiler

Obern-Huntslair

Nydern-Huntslar .

Elswiler .

Bernbach

Hammerstein, Hamerswilre Ausweiler, Uszwiler .

727 307 Wüstung, 356 120 344 164 212 04 201 62 5IO 97 820 146 277 88 328 96 350 132 831 203 160 70 656 232 161 69 168 99 882 200 742 159 318 112 514 285 428 187 9035

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3 32 10 12 17 33 37 39 \tder-Brombach und darin aufgegangen. OB 7 6 Io 15 17 2I 24 3I 84 98 107

4 15 9 9 Io 17 I 22 23 52 97 99 106

|9 10 4 5 6 12 6 15 20 30 JI QI 95 0 4 4 6 7 2I 22 22 40 75 114 88

»istung, Lage unbestimmbar.

Hama „auf Höhweiler‘“ (Elchweiler Flur K Gollenberg Flur 4).

0 24 7 4 17 33 35 38 33 67 142 203 156 [2 21 3 7 I4 34 37 40 4 68 177 246 199 6 m 5 6 6 I2 15 IQ I3 45 66 63 69

1D 12 6 3 6 14 15 15 22 32 64 86 109

6 7 5 3 7 23 24 25 76 | 42 > 177 366

2 38 16 12 22 39 4I 49 85 99 204 321 433

Wustung auf „Reinchweilerberg‘“ (Leisel Flur 24, Wilzenberg Flur 5).

-) Wistung „Hauler“ (Leisel Flur 26, un Flur 9, II, 13).

3 = 12 (nur Kirche).

6 ọọ 5 IO II a I5 26 45 68 77

427 7 9 ı7 33 35 37 64 SI 150 244 348

5 7 5 5 6 2 II I5 28 30 56 95 141

I Wüstung „Hinzhausen‘ (Rötsweiler Flur 3, Ober-Brombach Flur 5).

Wüstung „Klaffler“ (Burbach Flur 6 u. 7, Klafflerszinsland Burbach

Flur 2, Klafflersgraben Nieder-Brombach Flur 15 u. 17).

Wüstung, Lage unbekannt.

7 12 5 5 7 I4 I6 ı6 13 39 64 64 73

2 3 7 6 18 39 39 37 68 94 199 358 315

79 23 Ii Ss 14 39 42 46 67 76 190 250 294

13 5 IO 15 20 23 24 30 89 113 166 151

Wüstung „Springweilerflur“ (Wilzenberg Flur 5).

Wüstung „Geisler“ (Hußweiler Flur 1, Leisel Flur 2). Wüstung „Holzler“ (Leisel Flur 19 u. 2).

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Wüstung, Lage unbekannt. Wüstung „Bärenbach (Nieder-Brombach Flur 11).

» Ye; f] -Q m- m paap, u ul AE Du TU m a

(1885) 4 5 4 3 II 8 I2 I4 102 32 98 298 572 9 12 3 6 II 24 29 26 53 5I 134 298 306 6

348 123 130 226 452 485 536 878 |1098 2281 4302

m a 4

Sonnenberg !).

168 69 19 33| Winnenberg, Wy nnemberg

117 87 14 12| Wüster Ho!

5 z _ Haus Amt Frauenberg | z E S a

l ‚u 2) on > j; 9% o0 `

| O < > Z 2 x

| £ £ Z S ja © ö

Frauenberg, Frauwenberg . 307 77 I7 128| ı7 I | 592 233 50 173 | 17 I:

Pflege Reichenbach

Reichenbach, Richembach . . . .)1084 622 III IQI | 25 IO Il! Nohen (Alten-Nahe), Noen . . . .| 749 345 103 204| 6 6 Rema . . E" —- 5 Rimsberg, Rumersperg a... . | 319 167 25 6ol 9

2152 1134 239 455|45 16 21

Für den Brombacher Bann fehlt ein Verzeichnis aus dem XIV. Jahr- hundert. In dem Gültbuch von 1438 sind neben den „Erben“ an jedem Ort auch die der vorhandenen „Mannen‘ angegeben. Vogt- hafer und Vogthühner zahlten 58 Hlofstätten, 21 Hausgesesse waren von dieser Abgabe frei.

Das Schatzungsregister von 1465 zieht die Pflege Brombach, das Amt Frauenberg und die Pflege Reichenbach in einen Steuerbezirk zusammen; von 144 zur Schatzung llerangezogenen sind sechsund- zwanzig mit 6 Albus, siebenzehn mit !/, Gulden, zwei mit 18 Albus, elf mit ı Gulden, dreizehn mit ı$ Gulden, ncunzehn mit 2 Gulden, drei mit 24 Gulden, achtzehn mit 3 Gulden, zwei mit 3% Gulden, sechs mit 4 Gulden, einer mit 44 Gulden, acht mit 5 Gulden, vier mit 6 Gulden, sieben mit 7 Gulden, zwei mit 8 Gulden, einer mit 9 Gulden, zwei mit 10 Gulden und einer mit 16 Gulden veranschlagt.

Auf die Klasse unter 2 Gulden kommen 68 Personen, auf 2 bis

1) Sonnenberg ist erst entstanden, nachdem am 27. Juni 1761 die Nahe und die bei Frauenberg mündenden Wildbäche diesen Ort (Alt-Frauenberg, damals am Fuße des Hügels, auf dem die Frauenburg liegt) bei einem Hochwasser ganz zerstört hatten. Die überlebenden 18 Familien gründeten die jetzigen Dörfer Sonnenberg auf dem linken und (Neu-) Frauenberg auf dem rechten Naheufer an günstiger gelegenen Plätzen ihrer Ge- markung. A. E. J. Barnstedt: Geographisch- historisch- statistische Beschreibung des Großherzoglich Oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld (Birkenfeld 1845), S. 6.

hltungen Einwohner er n in Ne) en oa O N (e) p (1885) 3 9 3 8 20 20 14 47 4I 48 197 242 (1845) Er u Aa ae I2 45 37 113 216 u er S 2 3 17 I7 38 68 Su = 3 8 22 20 29 109| 4I 102 526 | (1885) I3 32 II 14 3I 59 6r 66 116| 146 233 620 646 (1845) | i0 16 6 8 16 39 40 5I 69 92 202 285 366 Wistung am Röhmbach bei Nohen. 5 6 I 3 7 17 19 I5 25 41 78 161 127 5 54 18 25 54 IIS 120 122 289 513 1239 5 Gulden 57 Personen, über 5 Gulden zahlten ı7 Personen. Ein

Töpfer hatte an Stelle des Geldes IOo Schüsseln zu liefern.

Die übrigen Zahlen in den Tabellen sind den Verzeichnissen ent- nommen, die teils in der Sammlung „Horsmanniana‘“ im Kreisarchiv Speier, teils in den Archiven in Karlsruhe und Koblenz enthalten sind, siehe darüber Erläuterungen gum geschichtlichen Atlas der Rhein- proving II, S. 435f. Ein Verzeichnis von 1563 findet sich in einem Sponheimer Kopialbuch im geheimen Staatsarchiv in München (Kasten blau 383/9 fol. 465 ff.).

Aus dieser Zusammenstellung erkennt man, daß der Rückgang der Bevölkerung im ersten Drittel des XV. Jahrhunderts sich auch auf die Brombacher und Reichenbacher Pflege erstreckt, da auch dort viele Wüstungen angegeben sind und die Anzahl der Erben so viel höher als die der Mannen war. Im Amt Frauenberg gab es keine Erben, da hier die Anlage der Siedlungen erst nach 1326 er- folgt ist.

Nur langsam erholte sich das Ländchen von der Entvölkerung. 1607 war die Zahl der Erben von der der Hausgesesse überschritten, ohne daß die wüsten Orte alle wieder besiedelt worden wären. Da bewirkte der Dreißigjährige Krieg und die Raubkriege Ludwigs XIV. im XVII. Jahrhundert einen abermaligen bedeutenden Rückgang der Volkszabl, der erst im Laufe des XVIII. langsam überwunden wurde;

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das letzte Drittel dieses Jahrhunderts zeigte dann ein rascheres An- steigen der Bevölkerung, die erst im XIX. stabil geworden zu sein scheint.

Im Südosten, bei Hammerstein, Reichenbach und Frauenberg macht sich der Einfluß der Obersteiner Kleinmetall- und Edelstein- Industrie geltend.

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Entgegnung Von Gustav Strakosch-Grafsmann (Wien)

Zu der Bemerkung des Herrn Dr. Fabricius: ‚die erhaltenen statistischen Quellen (über die Bevölkerungsverhältnisse des ehemaligen Amtes Birkenfeld) gestatten eine Nachprüfung der kürzlich“ von mir „aufgestellten Behauptung, daß die Landbevölkerung Deutschlands seit Jahrhunderten in der Hauptsache stationär geblieben sei“, habe ich folgendes zu sagen:

Das ehemalige Amt Birkenfeld ist durchaus als ein Gebiet zu be- zeichnen, in welchem die Bevölkerung seit 1843 !) bis 1910 stationär geblieben ist. Die Bürgermeistereien Birkenfeld und Niederbrombach zählten 1910 10940 Einwohner, 1843 9084. Damals war übrigens Leisel, das heute zu Niederbrombach gehört, eine selbständige Bürger- meisterei. Dieser Teil des Fürstentumes Birkenfeld bildet also eine beachtenswerte Ausnahme von der Bevölkerungsbewegung des Gesamt- fürstentumes, dessen Einwohnerzahl sich zwischen 1843 und 1910 von 29480 auf 40094 gesteigert hat. Während nun die Zählung von 1843 als eine Zollvereinszählung jedenfalls Anspruch auf Glaubwürdig- keit machen kann, ist dies bei der Einwohnerbeschreibung von April 1770 nicht der Fall. Im XVIII. Jahrhundert sind nur selten Volks- zählungen zustande gekommen, welche die wahren Werte erreichen oder ihnen nahe kommen. Eine Hungersnot, wie die, welche im Sommer 1770 ausbrach und bis zur Ernte von 1772 dauerte, die Finanznöte Österreichs, welches bereits zur Zeit Karls VI. allen über- haupt auffindbaren Grundbesitz Schlesiens in einen Kataster verzeich- nete, um ihn zu besteuern, der Kampf um Seelen, welcher dazu führte,

1) Die von Fabricius unter 1845 angegebenen Zahlen rühren von einer im De- zember 1843 vorgenommenen Zählung her, s. Barnstedt: Beschreibung des Fürsten- tums Birkenfeld, S. 63.

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daß die Geistlichen im Bistume Osnabrück und im nordwestlichen Nie- derösterreich bald nach 1650 alle Leute verzeichneten, einerlei, ob orts- mgehörig oder nicht, der Kampf gegen den Kryptoprotestantismus im Sazburgischen im Jahre 1731 haben die Gelegenheit geboten, Be- völkerungsverzeichnisse zu schaffen, welche uns noch heute gestatten, einen Blick in die wahren Verhältnisse zu gewinnen.

Die Einwohnerbeschreibung vom April 1770) ist nun leider vor dem Ausbruch der Hungersnot verfaßt worden. Ihre Werte sind mit geringen, vielleicht nur der Zahlenspielerei von Schreibern, die alle Augenblicke statistische Tabellen liefern mußten, entstammenden Änderungen in die Bevölkerungstabelle von 1790 übergegangen, die Fabricius mitteilt. Es ist immerhin lohnend, zu sehen, wie wenig sich nach der Meinung der Amtsschreiber von Birkenfeld innerhalb zwanzig Jahren, von 1770 bis 1790 im Ländchen geändert hat:

Einwohnerzahl nach Fabricius 1770 1790 Birkenfeld 787 970 Burg Birkenfeld 87 105 Feckweiler 120 131 Buhlenberg 250 260 Eisen 244 250 Brücken 256 293 Abentheuer, Eisenhütte 88 150 Dienstweiler 77 62 Eborn 32 53 Niederbrombach 149 150 Böschweiler 75 84 Burbach 75 97 Elichweiler 55 7I Ellenberg | 83 75 Hambach 134 142 Hattgenstein 187 177 Heunweiler 7I 66 Bußweiler 52 64 Kronweiler 14I 100 Leisel 222 204 Hof Heiligenbusch 9 12

1) Staatsarchiv Koblenz, Sponheim, Nr. 5759.

Nockenthal 5I 45 Oberbrombach 154 150 Rötsweiler 59 56 Schmißberg 70 64 Schwollen 192 199 Siesbach 203 190 Wiltzenberg 116 113 Frauenberg 59 48 Sonnenberg 55 37 Winnenberg 19 17 Reichenbach 254 233 Nohen 200 202 Rimsberg 98 78 Hammerstein 75 98 Außweiler 118 134 !) 417 5180

nach Ausscheidung des Hauptortes Birkenfeld und des Eisenwerkes von Abentheuer ergeben sich für 1779 1790 Einwohner 4142 4160.

Eine Zunahme von 18 Köpfen innerhalb von zwanzig Jahren bei einer Bevölkerungszahl von 4142 darf als Stagnation angesehen werden.

Es bleibt jetzt noch das Wachstum von 1790 bis 1843 zu er- klären. Ich habe in meiner Behauptung über die Stagnation der deutschen Landbevölkerung durch lange Zeiträume ausdrücklich aus- genommen alle jene Orte, in welche im Verlaufe des XIX. Jahrhun- derts die Industrie eingezogen ist ich hätte ebensogut sagen können, in welche im Verlaufe der Zeit die Industrie eingezogen ist und jene, wo im XIX. Jahrhundert irgendeine größere gemeinnützige Anstalt Armenhaus, Spital, Erziehungsanstalt geschaffen wurde. Wie steht es damit im Amte Birkenfeld? Für den Hauptort ist hervor- zuheben, daß seit 1817 hier zahlreiche Behörden errichtet (Barnstedt S. 306) und daß hier 1821 ein Regierungsgebäude, 1843 eine Militär- kaserne und ein Detentionshaus, 1836 ein Amtshaus gebaut wurden. Und die Insassen einer Kaserne und eines Detentionshauses sind doch für die Dauer ihres Aufenthaltes in diesen Gebäuden entschieden nicht

1) Hierzu bemerkt Fabricius: ich finde die Übereinstimmung der Einzelposten doch nicht groß genug, um die zweite Reihe auf die Willkür des Schreibers zurück- zuführen,

a. F. oa

der Landbau treibenden Bevölkerung zuzurechnen, Ferner war vor 1790 den Juden der Aufenthalt im Lande verboten. Für die Volks- beschreibungen konnten sie daher nicht existieren, 1843 wurden sie natürlich gezählt. Weiters kann man über den Grubenbau auf Ton- eisenstein in Buhlenberg, über die anderen Industrien in Buhlenberg und Schwollen, über die Sandstein- und Schieferbrüche in Böschweiler und Wilzenberg, über die damaligen Mahl-, Öl- und Walkmühlen in Niederbrombach nicht hinwegsehen. Bei einem so kleinen Gebiete es handelt sich um etliche 40 Ortschaften spielen diese Erwerbszweige immerhin eine Rolle.

Die Bevölkerungsliste von 1723, die Fabricius mitteilt, habe ich nicht gesehen. Ich hege stark den Verdacht, daß entweder nur die „Erwachsenen“ oder nur die männlichen Einwohner darin berücksich- tigt sind: beides sind Fälle, denen man in der noch ganz unbeholfenen Einwohnerstatistik des XVIII. Jahrhunderts recht oft begegnet.

Neben den Bevölkerungslisten bringt Fabricius auch Zahlen, die aus Besitzregistern entnommen sind, Zahlen, die sich auf bäuerliche Häuser beziehen, und in welche der kirchliche Besitz, die Pfarr- und Schulhäuser, die Häuser der Hirten und anderer Leute, ferner das unmittelbare herrschaftliche Eigentum in der Regel nicht eingetragen sind. Die Zahlen dieser Register schwanken innerhalb weniger Jahre um ein ganz beträchtliches, je nach dem Grade der Vollständigkeit der Aufnahme. In der Regel waren sie veraltet. Mathias Burglechner, der Sohn eines Sekretärs der Tiroler Kammer, gestorben 1642, hat eine Beschreibung Tirols hinterlassen. Wie der heutige Geograph sich verpflichtet glaubt, die neuesten Einwohnerzahlen . neben den Städtenamen in Klammern anzubringen, so gibt er die neuesten Häuser- zahlen für manche Dörfer Tirols, nämlich solche aus der Zeit Friedrichs mit der leeren Tasche, nämlich von 1416; in einzelnen Fällen steigt er sogar bis in die Zeiten Sigismunds von Tirol hinab, der 1490 abdankte. Am 13. Juli 1598 wollte der Herzog von Württemberg wissen, wie viele Bürger und Inwohner es in jedem Orte seines Landes gebe, und wie viele Höfe und Mühlen sein Land habe. Heutzutage ist bekanntlich eine Volkszählung eine mühsame Arbeit, die ein ganzes Heer von Beamten und zahllose Additionsmaschinen in Anspruch nimmt. Bis zum Bekanntwerden der ersten rohen Summen vergehen mehrere Monate. Das alles benötigten die Württemberger Amtleute nicht. Der Amtmann von Herrenberg ist mit seiner Antwort schon am 15. Juli da, der Schultheiß zu Hoheneck antwortet am 18. Juli. Sie gaben

nämlich ihrem Herrn einfach Abschriften von alten Registern. Der 6

S 291; see

Amtmann von Herrenberg nimmt ein solches von 1471 oder von 1525 her, wo von 290 „Einwohnern“ seines Gebietes die Rede war, nur liest er 209 und sendet so seine Liste ein. Der Amtmann von Neuen- burg liest in einem Register von 1471 92 Untertanen und schreibt falsch ab und stellt für Neuenburg 42 Untertanen fest. Der Keller- meister von Pfullingen sendet sogar ein namentliches Verzeichnis ein, das aber mit einer viel älteren Schrift geschrieben ist, als jene des Kellermeisters, ein Verzeichnis, das schon einige Dezennien alt war. Der Berichterstatter für das Amt Hornberg in Baden wiederholt zwar auch die Ziffer von 1471 (67 Meierhöfe), fügt aber dann doch 2 Mühlen und 35 Leibgedinghäusel hinzu.

Mit Zahlenmaterial dieser Herkunft kann man alles mögliche und unmögliche beweisen. Auf Grund solches Zahlenmaterials bin ich bereit zu „beweisen“, daß im Amte Kastellaun (Rheinprovinz) sich die Bevölkerung während des spanischen Erbfolgekrieges und der Hungersnot von 1709 bedeutend vermehrt habe, daß weiter die Zeit des polnischen, des österreichischen Erbfolgekrieges und des Sieben- jährigen Krieges eine gesegnete für das Rheinland war. Hier der „Beweis“ !):

1703 1717 1723 1760 registrierte Hausstellen

Alterkülz 18 19 und 15 14 und 26 40 Bell II 31 31 45 Beltheim 18 26 Buch 15 29 Gödenroth 18 23 27 42 Hasselbach 7 und 7 9 und 6 24 Hollnich 9 I2 14 17 Kastellaun 52 73 83 128 Leideneck 15 22 22 30 Michelbach 12 17 28 Roth 9 12 12 29 Ubler I2 18 36 ?)

Daß dieses statistische Bild den wahren Tatsachen nicht entspricht, beweist die starke Auswanderung aus diesen Gegenden nach Amerika,

I) Nach den Listen im Staatsarchiv Koblenz, Nr. 5235 und 5273.

2) Im Amt Kastellaun waren sehr viele Untertanen fremder Herrschaften angesessen, die bald ausgelassen, bald mitgezählt werden. Fabricius. Gerade auf diese Wurzel des Irrtums hat Strakosch-Graßmann Bd. 14, S. 316f. hingewiesen. Der Herausgeber.

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nach Ungarn und nach Preußen; die Leute drängten sich überallhin in die Fremde und ließen den heimischen Besitz unter den schwersten Opfern im Stiche.

Sieht man die Angaben der Register näher an, so kommt man zu unerwarteten Ergebnissen. Die 31 Steuerpflichtigen, die z. B. Bell im Amt Kastellaun 1723 gezählt haben soll, waren schon 1585 da: damals gab es ihrer 32. Ähnliche Übereinstimmungen sind die fol- genden aus derselben Gegend:

Buch 1717 29 1607 28 Gödenroth 1703 18 1585 20 1701 20 Hollnich 1703 9 1585 10 Hundheim 1703 8 1585 9 Kastellaun 1701 66 1465 68 Kastellaun 1703 53 1585 52 Reckershausen 1717 12 1585 II

Das Beispiel von Kastellaun läßt eine überraschende Lösung ver- muten: der Schreiber von 1701 arbeitete auf Grund eines alten Re- gisters von 1465, während der von 1703 die Besitzverhältnisse von 1585 zum Vergleiche heranzog. Auch der Schreiber von 1717 hielt sich an das Register von 1585. Die tatsächlichen Verhältnisse mochten zu den alten Registern passen oder auch nicht: jedenfalls wurden die Lasten auf Grund der alten Register eingefordert, womit die Dorf- . bevölkerung aus Bequemlichkeits- und anderen Gründen einverstanden gewesen sein dürfte. Die abnorm niedrigen Ziffern in den Jahren der Wiederherstellung nach dem Dreißigjährigen Krieg dürften demnach als eine vorübergehende Erleichterung der Lasten zum Zwecke des Wiederaufbaues anzusehen sein. In Prozessen des XVI., XVII. und XVIII. Jahrhunderts tritt häufig die Tatsache hervor, daß die alten, von der Herrschaft immer wieder vorgeführten Register längst nicht ‘mehr den wirklichen Verhältnissen entsprachen.

Es sei nunmehr aus den rheinischen Verhältnissen und zwar aus solchen, die dem Herrn Dr. Fabricius durch seine literarischen Ar- beiten besonders nahe liegen, ein weiteres Beispiel herausgeholt, das zu vorsichtiger Prüfung des durchwegs von den Herrschaften über- lieferten Materiales auffordert. Im Jahre 1720 zeigt ein gewisser Johann Wilhelm Lisfeld zu Sobernheim (Kreis Kreuznach) an, daß der Amts- verweser beinahe 100 Morgen „vakanter Güter“ genieße, ohne daß die Herrschaft irgendeinen Nutzen habe. Er fragt beim Kurfürsten

an, ob er ihm diese Güter verkaufen wolle. Diese angeblich ‚„vakanten ; 6*

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Güter‘ hatte der Amtmann zwischen 1703 und 1707 den damaligen Inhabern, weil sie ihre Besitzrechte nicht nachweisen konnten, weg- genommen, trotz aller Proteste. Zur Zeit der kaiserlichen Sequestration der Kurpfalz wurden diese namens des Kurfürsten als herrenlos ein- gezogenen Güter wieder den rechtmäßigen Eigentümern zurückgestellt. Als diese Angelegenheit 1720 wieder auftauchte, gab der Amtmann zu, nach und nach 50o Morgen für sich in Anspruch genommen zu haben. Selbstredend wird der Amtmann in seinen Registern cine größere Anzahl ,wüster Güter“ ausgewiesen haben. Ich glaube aber nicht, daß es in den Rheinlanden um 1720 oder auch um 1670 auch nur einen Quadratmeter herrenlosen Grundes und Bodens gegeben hat oder irgendeine Fläche, die unbebaut und unbenützt war, soferne die Herrschaft oder die Gemeinde den Grund irgendwie zu erträglichen Bedingungen freigab und nicht lieber für die Jagd oder die Weide vorbehielt.

Ein weiteres Hindernis der Herstellung richtiger Statistiken war die möglicherweise gerechtfertigte Faulheit der Amtmänner. Am 5. Juni 1734 bestätigt der sponheimische gemeinschaftliche Kellermeister, daß es zu Allenbach (Kreis Berncastel) 26 angesessene Untertanen „nebst etlichen Taglöhnern und Bettlern‘ gebe; in Wirschweiler seien 22 an- gesesscene Untertanen „neben etzlichen Taglöhnern und Bettlern‘“. Die Antwort für Allenbach wiederholt im wesentlichen die Zahl eines Re- gisters von 1465 (24 „Angesessene‘“). In der Hauptsache hat alles, was unter den ehemaligen Erben und Hufen lag, für die Register bis weit ins XVIII. Jahrhundert hinein nicht existiert. Das rasche An- schwellen der Zahlen der Hausstellen in der ungemein übersichtlichen Tabelle des Dr. Fabricius beweist nur, daß sich die Amtleute im Laufe des XVIII. Jahrhunderts doch entschlossen haben, allmählich die aus dem XV. Jahrhundert stammenden Besitzregister nach und nach den wahren Werten zu nähern. Aber die Bevölkerung, von deren Dasein man auf diese Art erfährt, hat, wie die Antwort des sponheimischen Kellermeisters bereits ahnen läßt, schon längst bestanden. Es gab schon im XIV. Jahrhundert auch minder bemittelte Schichten, ja ge- radezu ein Proletariat im deutschen Dorfe. Die Beweise dafür müssen freilich zunächst aus anderen Gebieten als aus den linksrheinischen beschafft werden. Zu einer Hube im ostelbischen Gebiete gehören in der Regel, alle Bodengattungen, auch die entsprechende Menge Wald, eingerechnet, etwa 20 Hektar. Fabricius findet als Größe der Hufe im ehemaligen Amte Birkenfeld etwa ı2 ha Acker und Wiesen, was mit Rücksicht darauf, daß dieses Gebiet zu 45 Prozent aus Wald

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besteht, eine Hufengröße von 21,8 ha im Durchschnitt ergibt ). Ein so großes Gebiet konnte im Osten niemals ohne Zuhilfenahme von Kötern und Büdnern bebaut werden und auch im Westen ist es ganz gewiß unmöglich gewesen, daß eine Fläche von ı2 ha Acker und Wiese von einem einzigen Ehepaare und dessen Kindern bestellt wurde.

-~ Dem Hüfner oder Erbebesitzer muß also irgendeine Menschenklasse zur Seite gestanden haben, die ihm gegen einen Anteil am Ertrage bei der Bestellung seines Grundbesitzes half. Auf die Existenz einer solchen vom Grundbesitze ausgeschlossenen, aber doch stets verfüg- baren Bevölkerung weisen die umfangreichen Bauernlegungen hin, von denen man aus dem Gültbuch der Grafschaft Sponheim von 1438 erfährt: ‚‚item zu Bulemberg, Runtzemberg und Etzwilr ligent 29 erben, der ligent 19 wust, die sint mines herren“: der Herr hatte sie also eingezogen, was er sicher nicht getan häite, wenn sich nicht Hände gefunden hätten, die bereit waren, sie für ihn zu billigeren Bedingungen, als ein Bauer es zu tun pflegte, zu bebauen. Der Versuch, Bauern- land in Domanialland umzuwandeln, scheint aber aus irgendwelchen Ursachen nicht gelohnt zu haben, und so sind 1465 die alten frü- heren Verhältnisse, wie sie 1367 bestanden hatten, im Dorfe wieder- hergestellt worden ?).

Es ist geradezu erstaunlich, daß ein großer Teil der Bearbeiter der deutschen Ortsgeschichte, wenn sie von „wüsten Huben“ oder „Wüsten Stellen‘ lesen, immer entsetzt zusammenzuckt und an die Verödung des Landes mangels an Bewohnern denkt, während es sich in Wahrheit um Gütereinziehungen durch die Grundherrschaft oder auch um Besitzkonzentration in den Händen einzelner reicherer Bauern, ja nicht selten nur um eine Veränderung der Ansiedelung des Wirtes handelte. Die Hube, die der Bauer zu seiner eigenen hinzuerworben hatte, und die er durch einen „Beständner“, „Heuerling‘‘ oder wie sonst der Mann hieß, bewirtschaften ließ, wurde in den Besitzregistern als „wüste“ geführt. Der Dreißigjährige Krieg hat mit seiner großen Reihe wirtschaftlicher Zusammenbrüche und der vielfachen zeitweiligen

1) Ich fasse dabei den Wald natürlich nicht als Sondereigentum auf, aber ich schlage za jeder Hufe einen entsprechenden Anteil am Walde hinzu.

2) Bauernlegung in solchem Umfang wäre im Westen etwas neues, Ich dachte an den bodenverderblichen Einfluß der sogen. Schiffelwirtschaft, worüber jetzt noch geklagt wird. Wenn im Jahre 1438 die „wüsten Hufen, die in des Herren Hand liegen“, in Eigenwirtschaft der Herrschaft gestanden hätten, wären doch wohl in dem sonst sorg- fältig bearbeiteten Einkünfteregister Angaben über den Ertrag aufgenommen wie bei den za solchen Gütern gehörigen Wiesen über das Heu. Fabricius.

Flucht der Landbevölkerung in die Städte die Gelegenheit zu sehr vielen solchen Besitzkonzentrationen in zahlreichen Dörfern geboten, die aber von der Grundherrschaft nur in den ersten Jahren nach dem Frieden geduldet wurden. Später nahm sie dann den Kampf gegen diese Besitzkonzentrationen auf und erzwang die Wiederherstellung des Zustandes, wie ihn die Besitzregister vor dem Kriege aufwiesen !). Dieser Zug geht durch alle Ediktensammlungen der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts in allen Gebieten, auf die der Krieg eingewirkt hatte. Wo es der Großgrundbesitz nicht vorzog, die „wüsten Huben“ selbst in Besitz zu nehmen, da mußte sie der Bauer nach und nach wieder herausgeben und es zulassen, daß ihm ein eigener Übernehmer für die betreffende Bauernstelle zur Seite gesetzt wurde. Die Re- gister nach dem Kriege weisen den Fortschritt auf, den die Landes- herren in diesem Bestreben nach Wiederherstellung des durch die Geldkrise im ersten Dezennium des Dreißigjährigen Krieges und die Kriegsereignisse in den folgenden Jahren zerstörten landwirtschaftlichen Mittelstandes erzielt haben. Damit, daß die Kopfzahl der Bevölkerung sich nicht allzusehr vermindert hatte, damit, daß es zwar nur wenige Großbauern, aber ein zahlreiches ländliches Proletariat gab, war dem Gesetzgeber nicht gedient. Diesen ökonomischen Prozeß drücken die seit dem Kriege rasch wachsenden Zahlen der Besitzregister aus: die Kopfzahl der Einwohner war dem Amtmann in mittleren Jahren ziem- lich gleichgültig, in guten konnte er nach seiner Meinung nie genug Leute bekommen und in schlechten war ihm die Masse der Hilfe suchenden lästig. Aber die „Bettler“ zu registrieren, fiel ihm nicht ein.

Das Wachstum des Wohlstandes und der Einwohnerzahl der hol- ländischen Städte in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts führte dazu, daß sich auch in Deutschland die Meinung einbürgerte und in den Staatskanzleien festseizte, daß die Macht eines Landesherrn desto größer sei, je größer die Zahl der Einwohner sei, einerlei, welches die wirtschaftliche Lage dieser Einwohner sei. Dieser Meinung ver- dankt ein Teil der in Deutschland seit dem Ausgange des XVII. Jahr- hunderts sich immer mehr verbreitenden Versuche, die Kopfzahl der einzelnen Gebiete zu ermitteln, seine Entstehung. Andere Volks- beschreibungen wurden gemacht, um die Konskription vorzubereiten, ein Zwangskontingent für den Salzkonsum zu schaffen oder sonst eine vom Landesherrn befohlene Landplage vorzubereiten. Die ersten Zählungsversuche wurden in einer höchst ungeschickten Weise ge-

1) Vgl. dazu diese Zeitschrift 10. Bd. (1909), S. 283—284.

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macht. Die Landstände bekämpften die Volkszählungsversuche, so in Bayern und in Österreich. Dem Landesherrn zuliebe wurden von den Unterbehörden nach anfänglichem Widerstreben jene Tabellen eingesendet, welche er wollte. Weil er haben wollte, daß jede Zäh- lung ein Plus gegen die vorhergehende aufwies, so bekam er sein Plus. So erging es Friedrich dem Großen. Als auf diese Art z. B. die Bevölkerung Preußisch-Schlesiens auf dem Papier etwas zu groß ge- worden war, blieb nach den Befreiungskriegen nichts anderes übrig, als dieses Plus umzubringen und man ließ in den Tabellen beiläufig ein Viertel der Bevölkerung Schlesiens verschwinden: dem Landes- herrn sagte man, es wären die Kriegsereignisse gewesen. Am liebsten aber schmierte doch der Amtmann die alten Feuerstättenregister weiter. Den Amtleuten wurde es nicht leicht, sich von den alten Überliefe- rungen zu befreien. Am 21. Juni 1808 gab die nassauische Regierung einen gedruckten Erlaß heraus, in welchem sie es rügte, daß die von einigen Ämtern bisher eingesendeten Volkstabellen nicht mit der nötigen Genauigkeit angefertigt werden. Der Erlaß bewirkte in ein- zelnen Ortschaften des Amtes Kronberg ein Anschwellen der bisher angezeigten Bevölkerung um 10—30 Prozent.

Ich war noch vor einigen Jahren von annähernd denselben An- schauungen über die Entwicklung der deutschen Bevölkerung erfüllt, welche Fabricius durch seine Bevölkerungstabelle von Birkenfeld aus- drückt. Ich stand bei meinen Besuchen in den Staatsarchiven der Rheinlande (Düsseldorf, Koblenz, Wiesbaden, Speier, Straßburg, Metz, Kolmar) noch unter dem Banne dieser Meinungen und habe mich erst nach der Vergleichung der Materialien in anderen deutschen und in österreichischen Archiven von ihnen frei gemacht. Diese älteren Meinungen sind im wesentlichen die, daß es in Deutschland noch im XV. Jahrhundert eigentlich eine recht dünne Bevölkerung gegeben, die sich bis zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges stark vermehrt, dann während dieses Krieges auf einen unglaublich geringen Betrag vermindert habe. Dann sei seit dem Dreißigjährigen Kriege ein an- haltender Aufschwung eingetreten, der bis in die Gegenwart fort- gedauert habe. Ich bin nach und nach zu dem Ergebnisse gekommen, daß diese Meinung falsch ist und daß die Quellen, auf denen sie be- ruht, teils wertlos, teils irreführend sind. Zu den irreführenden Quellen rechne ich auch die Häuserregister, die Fabricius verwertet hat: diese sind in agrargeschichtlicher Hinsicht ganz interessant, für die Bevölkerungsstatistik beweisen sie gar nichts. Dies gilt nicht etwa bloß für das Gebiet von Birkenfeld, sondern auch für das

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Nassauische, für welches sich statistische Tabellen von gleicher Schön- heit anfertigen ließen, wie für das Birkenfelder Amt. Ich könnte noch zahlreiche andere deutsche Landschaften nennen, wo man ähnliche Tabellen aufstellen könnte, und manches Archiv, wo statistische Ma- kulatur der wohlverdienten Vernichtung entgangen ist.

Im übrigen ist zu beachten, daß die wirtschaftliche Vergangenheit der Landbevölkerung und des Landes überhaupt in den meisten Teilen Deutschlands, die ehemals habsburgischen Gebiete ausgenommen, sich leichter erforschen läßt als in den linksrheinischen Gebieten, denen Herr Fabricius seine ausdauernde Arbeitskraft zugewendet hat: sämt- liche ehemaligen französischen Departementsarchive Deutschlands weisen dürftige Aktenbestände aus. Es ist in Düsseldorf, Koblenz, Speier, Straßburg, Metz und Kolmar relativ nicht viel erhalten ge- blieben. Die linksrheinischen Bestände des Staatsarchivs Koblenz sind diesem Archive zu einem erheblichen Teile durch Extraditionen von Wiesbaden und Karlsruhe zugeflossen. Es ist beispielsweise nicht mehr möglich, eine Verwaltungsgeschichte von Kurtrier zu schreiben.

Diese von dem Willen des Herrn Dr. Fabricius unabhängige Tat- sache hat dazu geführt, daß Dr. Fabricius trotz hingebender jahre- langer Arbeit hinsichtlich der Bevölkerungsverhältnisse der Rhein- lande überhaupt zu verfehlten Schlüssen gelangt ist. Seine Ver- dienste um die historische Geographie des Rheinlandes erfahren da- durch keine Verminderung. Und der von ihm geführte Nachweis, daß der deutsche Adel um 1438 und gegen die Mitte des XV. Jahr- hunderts nicht bloß die deutschen Städte bekämpfte, sondern auch umfangreiche Bauernlegungen vornahm !), ist, wenn er auch vom Ver- fasser nicht beabsichtigt war, doch eine wertvolle Bereicherung unserer Kenntnis zur Geschichte der Rheinlande ?).

ı) Ist ersichtlich aus seinen Zusammenstellungen (oben S, 61) für die Pflegen Birken- feld, Brombach und Reichenbach.

2) Den schlimmen Erfahrungen des Herrn Strakosch - Graßmann mit den Häuser- verzeichnissen kann ich natürlich nicht entgegentreten, aber ich möchte doch behaupten, daß sich daraus eine mit der Wirklichkeit übereinstimmende Vorstellung von dem Sinken und Wachsen der Bevölkerung gewinnen läßt, wenn auch nicht mit genügender Genauig- keit. Mit den jetzigen statistischen Erhebungen lassen sie sich ja gar nicht vergleichen. .Die Aufgabe, die Hausgesessenen in $o kleinen Bezirken zu zählen, ist doch wohl ein- facher und rascher zu lösen, als die heutiger Volkszählungen. Fabricius.

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Mitteilungen

Versammlungen. In dem oben S. 49 veröffentlichten Berichte über die Wiener Historikerversammlung ist durch ein Versehen die Inhalts- angabe des Vortrags von Archivrat Lulve&s (Hannover) über die Macht- bestrebungen des Kardinalkollegiums gegenüber dem Papst- tum ausgefallen und sei deswegen hier nachgeholt.

Der Redner, früher lange Zeit Mitglied des Preußischen Historischen Instituts in Rom, behandelte die Geschichte des Kollegiums von seiner Zusammenschließung zu einer Korporation, die mit dem Papstwahldekret Papst Nikolaus U. 1059 begann, in der Hauptsache bis zum Konstanzer Konzil. Versuche der Kardinäle, der Gehilfen des Papstes bei Erledigung der ihm obliegenden geistlichen und weltlichen Funktionen, in ihrer Majorität bzw. in ihrer Gesamtheit dauernde und gesetzmäßig anerkannte Rechte auf die Beteiligung an der Papstregierung zu beanspruchen, sind bereits unter Gregor VII., mit vorübergehendem Erfolge unter schwachen Päpsten, wie Eugen II., Honorius III., Nikolaus IV. usw. gemacht worden. Derartige Prätensionen der Kardinäle förderte der Hohenstaufe Friedrich U. in seinen Kämpfen gegen Gregor IX. und Innocenz IV., aber es gelang ihm nicht, den gesamten Kardinalat vom Papste zu trennen. Erst als das päpstliche Rats- kollegium sich nach und nach die Zuweisung der Hälfte aller päpstlichen Einkünfte, außer den Annaten und Zehnten, gewohnheitsgemäß gesichert hatte, als es ferner in Avignon, nachdem die Päpste den Sitz der Kurie dort- hin verlegt hatten, eine Stütze im französischen Landesherrn gegen das kirch- liche Oberhaupt gewonnen hatte, versuchte es, durch eine Wahlkapitulation sich seine erweiterten Gewohnheitsrechte sanktionieren zu lassen. Der 1352 im Konklave gemachte Versuch mißlang. Jedoch wuchs trotzdem die Macht der Kardinäle in immer steigendem Maße, so daß sie, mit einem Teile der Kurie nach Rom zurückgekehrt, 1378 es wagen konnten, die Wahl eines von ihnen bereits anerkannten Papstes (Urbans VI.), als er ihnen nicht mehr zusagte, nachträglich für ungültig zu erklären und an seine Stelle einen anderen zu wählen. Damit brach die Kirchenspaltung aus; sie durch Wahlkapitulationen und durch ein von ihnen einberufenes Konzil (zu Pisa 1409) aus der Welt zu schaffen, gelang den Kardinälen trotz der Unterstützung Frankreichs nicht, da sie über keine eigene Macht geboten. Erst das vom römischen Könige bewerkstelligte Konzil zu Pisa gab der Christenheit in Martin V. 1417 die Einheit des Papsttums wieder. Neu gestärkt setzte dieses den weiteren Macht- bestrebungen des Kardinalats einen festen Widerstand entgegen, trotz dessen erneuten Versuchen, mittelst Wahlkapitulationen sich den Anteil an der Papstregierung zu sichern und zu erweitern. Das Papsttum entwickelte sich zum völligen Absolutismus; die Kardinäle aber sanken, besonders durch die Verwaltungsreformen Sixtus’ V. (1585—90), die ihre Tätigkeit in die Kon- gregationen verteilte und ihre Zahl bedeutend erhöhte (auf 70), zu Beamten des Papstes und der Kirche herab.

Archive. Die Stadt Tangermünde a. d. Elbe, eine der ältesten altmärkischen Städte, besaß einst, wie wir aus späteren Zeugnissen schließen

können, ein Archiv, das an Reichhaltigkeit dem mancher anderen gleich- großen und größeren Gemeinde nicht nachgestanden hat. Aber nur noch spärliche Reste legen Zeugnis davon ab. Fast das ganze Inventar des Rat- hauses wurde von einer großen Feuersbrunst vernichtet, welche die Stadt 1617 verwüstete, und die weiteren Kreisen durch die Novelle „Grete Minde von Th. Fontane bekannt sein dürfte. Nur weniges wurde damals den Flammen entrissen, und so stammt der weitaus größte Teil der heute im Tangermünder Archiv vorhandenen Akten aus der Zeit nach dem Brande. Geordnet und inventarisiert ist nur ein kleiner Teil davon. Die größere Hälfte liegt vollständig durcheinander und wird, was das Schlimmste ist, noch nicht einmal in einem Raume einheitlich verwahrt. Vielmehr müssen wir vier verschiedene Archivteile nach den Aufbewahrungsräumen unter- scheiden, die wir mit A, B, C, D bezeichnen wollen. Dabei kann ich keine Gewähr dafür übernehmen, daß die Ordnung nicht inzwischen schon wieder verändert worden ist, da ich gemerkt habe, daß die Aktenstücke von den Bureaubeamten nicht immer wieder genau an den Ort zurückgelegt werden, dem sie die Benutzer entnommen haben. Trotzdem ist man letzteren gegen- über verhältnismäßig pedantisch.

Im Rathaussaal, im Stadtarchiv A, wie wir es nennen wollen, pflegt man unter Verschluß einige ältere Aktenstücke, denen man einen höheren Wert beimißt, gleichsam als Raritäten aufzubewahren. Daraus ist gleichzeitig zu erkennen, wie richtig man die unsichere Verwahrung an den übrigen Orten einschätzt. Jene Aktenstücke sind:

ı. Das „alte Tangermünder Stadtbuch“*. Es enthält Aufzeichnungen aus den Jahren 1519—1694 und ist das offizielle Kopial- und Protokoll- buch des Rates aus dieser Zeit. Der dicke Folioband ist mit Verzierungen und einem Verschluß aus Messing versehen (mit Meßingen Puckeln und Clausuren).. Von dem Inhalt ist verschiedenes publiziert durch Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis A XVI, und Zahn, in den Jahres- berichten des altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte 22 (1888) und 31 (1904).

2. „Prozeßakten gegen Grete Minde und Genossen“, die angeklagt waren, die erwähnte Feuersbrunst von 1617 angelegt zu haben. Dieser in einen blutroten Umschlag gebundene Quartband ist ein äußerst interessantes Dokument älterer Rechtspflege Die Akten sind offenbar vollständig. Es sind ihnen sogar die Verse und Zeichnungen beigegeben, die einer der An- geklagten im Gefängnis mit durch Ziegelstaub rot verfärbter Tinte zu Papier gebracht hat.

3 Die Kämmereirechnungen von 1617 und 1620.

4. Statuta Curiae Tangermundensis. Dieser in verkleinertem Quart- format gehaltene Band, von dem nur wenige Seiten in einer sehr kleinen Schrift beschrieben sind, stammt aus dem Jahre 1639.

5. Die Zunftbriefe. Es sind aber nicht die Originale, die in den Händen der Zünfte waren, sondern rathäusliche Kopien aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert. Erhalten sind sie fast vollständig, nur wenige fehlen Der älteste Zunftbrief ist von ı311. Publiziert hat diese Briefe Zahn in den Jahresberichten des altmärkischen Vereins 28 (1901) und 29 (1902).

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6. Einige Originalurkunden des XVI. Jahrhunderts, die ich an einer anderen Stelle (D) fand, die künftig aber hier (A) verwahrt werden sollen.

Als Stadtarchiv B sei die „Polizeiregistratur‘ bezeichnet, die sich in einem Erdgeschoßraum des Rathauses befindet. Die hier lagernden Akten sind signiert, geordnet, freilich nach keinem einheitlichen Prinzip, und ka- talogisiert. So ist hier immerhin die Möglichkeit einer raschen Orientierung und Auffindung gegeben. Die Akten dieses Archivteiles betreffen Finanz-, speziell Steuer-, Prozeß-, Polizeisachen usw., kurz sie umfassen alle Gebiete der städtischen Verwaltung, erschöpfen aber keines davon, da auch die an- deren Räume dazu gehörige Aktenstücke enthalten. Ein in Schweinsleder gebundener Folioband (Abteilung I Nr. 16) trägt die Aufschrift Statuta Oi- vitatis Tangermundensis 1428. Die Eintragungen sind aber jünger. Der Band enthält a) Kopien von wichtigen Urkunden aus den Jahren 1457 bis 1598; b) die sogenannte ‚, Willkür‘, das umfangreichste Stadtstatut aus der Zeit der Ratsherrschaft, eingetragen 1639 (publiziert von Zahn im Jahresbericht des altmärkischen Vereins 23 [1890]), und c) die ausführlichen Eide, welche die zahlreichen Beamten zu leisten hatten. Ferner finden sich hier ein Band Kopien von Schoßregistern des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Abteilung IV Nr. 3), dicke Foliobände von Rezessen der Städtetage im XVII. Jahrhun- dert (Abteilung I Nr. 14. ı5), allerlei Prozeßakten, so z. B. über einen vom XVII. bis ins XIX. Jahrhundert sich hinziehenden Prozeß mit dem Ber- liner Dom wegen eines Darlehens aus dem Jahre 1464 (Abteilung IV Nr. 2) usw. Besonderes Interesse verdient von den älteren Aktenstücken noch Abteilung I Nr. 24, das die Rezesse der kurfürstlichen Untersuchungs- kommission von 1693 und 1698 enthält. Diese Untersuchung war auf wiederholte Beschwerden der Bürgerschaft über dauernde Mißwirtschaft des Rates angeordnet worden und führte zum Sturze der städtischen Selbstver- waltung.

Das Stadtarchiv C ist eine Bodenkammer des Rathauses. Die hier aufbewahrten Akten sind völlig verstaubt und ungeordnet. Altes und Neues ist zu einem Bündel zusammengebunden, so daß man sich hier kaum durch- finden kann. Es ist fast alles jüngeren Datums, dem Ende des XVIII. und Anfang des XIX. Jahrhunderts angehörig. Meist scheinen es Polizeisachen, besonders auch Bau- und Feuerpolizeisachen zu sein.

Im schlimmsten Zustande befindet sich das Archiv D, eine Boden- kammer eines in der Nähe des Rathauses befindlichen Kommunalgebäudes. Da ist alles auf einen Haufen geschichtet, gänzlich verstaubt und verschmutzt. Hier liegen u. a. die Kämmereirechnungen des XVII. Jahrhunderts, soweit sie erhalten sind. Aus der Zeit vor dem Brande sind nur die Rechnungen von 1611— 1615 gerettet. Die von 1617 und 1620 befinden sich im Archiv A. Die übrigen Rechnungen sind ziemlich regelmäßig bis gegen Ende des Jahrhunderts erhalten. Es sind Foliobände, die oft in ein mit allerlei sonderbaren Zeichnungen versehenes Papier eingebunden sind. Viele sind in neuerer Zeit in blaue Schalen gebunden worden und verraten da- durch den Eingriff einer organisatorischen Hand, von deren Tätigkeit Wei- teres leider nicht zu spüren ist. Ich habe, soweit es meine Zeit bei der Benutzung für meine demnächst erscheinende Arbeit Tanyermündes Ver- fassungs- und Verwaltungsgeschichte bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts

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zuließ, die Rechnungen in einem gesonderten Haufen notdürftig chronologisch geordnet aufgestapelt. Zwei habe ich nicht selbst wieder an Ort und Stelle zurückgebracht, sondern auf dem Rathause in der Obhut des Bureaupersonals belassen. Die älteste erhaltene Rechnung (1611) hat Zahn im 22. Jahres- bericht des altmärkischen Vereins (1888) in ausführlichem Auszug publiziert.

Wenn ich recht gesehen habe, ist noch ein Archiv E ım Entstehen begriffen, und zwar auf dem Boden des Rathauses. Da augenblicklich noch ein neues kommunales Gebäude errichtet wird, weil die Räumlichkeiten des alten Rathauses, das im XV. Jahrhundert in seinen ältesten Teilen erbaut wurde, nicht ausreichen, so befürchte ich, daß dabei abermals eine Zer- splitterung der Archivalien zustande kommt. Leider hat der wenig erfreu- liche Zustand des Tangermünder Stadtarchivs erst jüngst einen Forscher in seinen Arbeiten behindert, ich meine Kaphahn, Die wirtschaftlichen Folgen des 30jährigen Krieges für die Altmark (Gotha 1911). Eine wenn auch nur notdürftige Ordnung wäre daher sehr zu wünschen.

H. H. Rosendorf (Greifswald)

Eingegangene Bücher.

Sellschopp, Adolf: Neue Quellen zur Geschichte August Hermann Franckes. Mit einem Bildnis Franckes nach dem bisher nicht veröffentlichten Stich von J. G. Wolffgang von 1730. Halle a. S., Max Niemeyer 1913. 163 S. 8%. Æ 4,00.

Seuberlich, Erich: Liv- und Estlands älteste Apotheken [= Sitzungs- berichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ost- seeprovinzen Russlands aus dem Jahre ıgıı. x. Hälfte (Riga 1912), S. 39— 164].

Tschirch, Otto: Des Engelbert Wusterwitz märkische Chronik, nach den besten Handschriften neu herausgegeben [= 43. und 44. Jahresbericht des Historischen Vereins eu Brandenburg a. H. Festschrift zur Hohen- zollernfeier 1912, S. 1— 71].

Henke, Paul: Die ständische Verfassung der älteren Stifter und Klöster in der Diözese Paderborn ausgenommen Corvey. Münster, Regens- berg 1912. 67 S 8°.

Knetsch, Gustav: Die landständische Verfassung und reichsritterschaftliche Bewegung im Kurstaate Trier, vornehmlich im XVI. Jahrhundert [= Historische Studien, Heft LXXV]. Berlin, Ebering 1909. 184 S. 8°. AM 4,80.

Landtagsakten, Württembergische, herausgegeben von der Würt- bergischen Kommission für Landesgeschichte. I. Reihe: Erster Band: 1498—1515, bearbeitet von Wilhelm Ohr und Erch Kober. Stutt- gart, Kohlhammer 1913. 312 S. 80%. M 5,00

Dasselbe. IL Reihe: Erster Band: 1593—1598, bearbeitet von Albert Eugen Adam. Ebenda ıgıo. 652 S. 8°. æ 12,00

Lichtner, Adolf: Landesherr und Stände in Hessen-Kassel 1797—1821. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1913. 218 S. 8%. Æ 5,60.

Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden. Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.

Deutsche Geschichtsblätter

Monatsschrift

Erforschung dentscher Vergangenheit auf Iandesgeschichtlicher Grundlage

XV. Band Januar 1914 4. Heft

Die Brixener Diözesansynoden bis zur Reformation

Von Karl Hübner (St. Pölten)

Das Bistum Brixen, von dessen Bestand wir bereits aus der zweiten Hälfte des VI. Jahrhunderts sichere Kenntnis besitzen, hatte seinen Sitz zunächst auf dem Schlosse Säben und gehörte zum Patriarchat Aquileja. Nachdem es die Gefahren der Völkerwanderung, der bay- rischen und slawischen Invasion überwunden hatte und durch die chri- stianisierende Tätigkeit der Agilolfinger neu gefestigt worden war, wurde die Hochkirche 798 dem salzburgischen Metropolitansprengel einverleibt, um 990 nach Brixen. verlegt !).

Die Diözese umfaßte vom heutigen Tirol das Eisacktal bis zum Tinnebach (bei Klausen) am rechten und bis zum Eggental am linken Ufer, das oberste Fleimser- (Fassa-) und Sarntal (Pensertal), das Wipp- und Inntal (ohne das obere Paznauntal) bis zum Ziller- und Habacher- tal sowie das Pustertal bis zum Justeinerbach. Die seit dem Ende des XVII. Jahrhunderts herrschende Tendenz, die politischen und kirchlichen Grenzen in Übereinstimmung zu bringen, führte bereits 1787 eine Vergrößerung des Brixener Sprengels um die tirolischen Pfarreien Ampezzo, Lavant und Tristach ?), eine bedeutendere Er- weiterung jedoch 1818 herbei. Die Nachbardiözese Chur trat an ihn

1) Sinnacher, Geschichte der bischöflichen Kirchen Säben und Brixen (Brixen 1821—1834). Tinkhauser, Topograph., historische, statistische Beschreibung der Diözese Brixen (Brixen 1855—1891) Redlich, Zur Geschichte der Bischöfe von Brixen vom X. bis XII. Jahrh. (Zeitschrift des Ferdinandeums 1884). Ders., Die Traditionsbücher des Hochstiftes Brixen (Acta Tirolensia I, 1886). Voltelini, Beiträge zur Geschichte Tirols (Zeitschr. des Ferdinandeums 1889).

2) Seit 811 galt die Drau als Grenze zwischen den Metropolitansprengeln Salzburg und Aquileja (Widmann, Geschichte Salsburgs I, S. 1098.) 1751 wurde der letz- tere aufgelöst und für den österreichischen Teil desselben das Erzbistum Görz geschaffen.

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das obere Paznauntal und den obersten Vintschgau bis zum Trafoi- bach, Augsburg das tirolische Lechtal, Freising das tirolische Isartal, Salzburg das Draugebiet bis zur Grenze Kärntens ab, während die Brixener Kirche das Eisacktal unter dem Afersbach sowie das Penser- und Fassatal an Trient verlor ).

Auch das Brixener Synodalleben hängt mit der gesteigerten Re- formtätigkeit in der römischen Kirche seit dem XIII. Jahrhundert zu- sammen, wenn sie auch die folgenden religiösen und politischen Wirren vielfach beeinträchtigten ?). Um die im Einklang mit den Generalsynoden von 1215 und 1274 gefaßten salzburgischen Provin- zialkonzilsbeschlüsse °) durchzuführen, wurden zu Brixen von den Bischöfen Bruno (1250—1288) am 1. Dezember 1278*) und um 1287),

1) Das Bistum Trient bekam von Chur den Rest des Vintschgaus und umfaßt somit das gesamte tirolische Etschgebiet unter dem Trafoibach sowie das Eisackgebiet vom Afersbach abwärts. Dagegen wurde Vorarlberg mit dem Brixener Sprengel vereinigt und bildet seitdem ein eigenes Generalvikariat in den Händen des Weihbischofs von Brixen (Tinkhauser a. a. O. I, S. 16ff.).

2) Die erste uns bekannte Brixener Synode fand 1186 statt, um sicherlich im An- schlusse an die salzburgischen Provinzialkonzilien von 1178 und 1180 die damaligen. kirchlichen Zustände zu ordnen :(Sinnacher a. a O. III, S. 618. Tinkhauser, Studien und Skizzen zur Geschichte der Kirche von Süben und Brixen, Katholische Blätter aus Tirol 1853, S. 598). Jedenfalls beschäftigten sich auch die Brixener Konzilien: bis zum XIU. Jahrhundert vor allem mit Verwaltungs- und Rechtsangelegenheiten, womit auch die Anwesenheit des Laienadels zusammenhing. Hauck, Kirchengeschichte Deutsch- lands V (1911). Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im. Mittelalter (Grundriß der Geschichtswissenschaft II, 6, 1913).

3) Hübner, Die salzburgischen Provinzialsynoden bis zum Ende des XV. Jahrhunderts (Deutsche Geschichtsblätter X, 187—236). Ders., Nachträgliches über die salzburgischen Provinzialsynoden (ebendas. XIV, S. 243—248).

4) Von diesem Konzil sind uns bloß Klagen der Geistlichkeit über große Geld-. forderungen des Bischofs überliefert, wozu ihn wohl besonders die Fehden mit dem tirolischen Adel gezwungen hatten. Bruno versprach, künftighin nur im äußersten Notfalle mehr als. das Kathedratikum zu verlangen und sich hiebei an das Gutachten des Dompropstes und. Domdechanten sowie der Prälaten von Neustift, im Krenzgang zu Brixen, Wilten und St. Georgenberg zu halten (Sinnacher a. a. O. IV, S. 446fl. Tinkhauser a. a. O. 1853, S. 603. Mairhofer, Urkundenbuch von Neustift, Fontes rerum austriacarum IL 34, S. 150, Nr. 323). Vgl. Fajkmajer, Studien zur Verwaltungsgeschichte des Hochstiftes Brixen im Mittelalter (Forschungen und Mitteilungen zur Geschichte Tirols 1909), S. 341. Scharf, Bischof Bruno von Brixen Il. Teil (Programm des Real- gymnasiums in Kufstein 1912), S. 19.

5) Mansi, Sacrorum conciliorum collectio nova XXIV, S. 145 fl. Tinkhauser a. a. O. 1853, S. 604—608 (20 Statuten). Erzbischof Rudolf hatte für den 20. Sep- tember 1286 eine Provinzialsynode nach Salzburg einberufen, die aber dem Konvokations- schreiben von 1288 zufolge nicht zustande kam (Hübner a. a. O. XIV, S. 245).

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Landulf (1295—1301) um 1296!) und Johann von Schlacken- wert (1306—1322) 1318 ?2) Diözesansynoden abgehalten.

Die Statuten dieser aus den Prälaten und dem niederen Klerus bestehenden Kirchenversammlungen beziehen sich auf die geistliche Disziplin, das Verhältnis zwischen Klerus und Laien und das religiöse Leben des Volkes. Den Geistlichen wird eine standesgemäße, ein- fache und schmucklose Kleidung von geziemender Form und Farbe sowie eine den Kirchengesetzen entsprechende Haartracht und Ton- sur ®) eingeschärft, das Tragen von Waffen *), der Wirtshausbesuch mit Ausnahme dringender Not oder auf einer Reise, das Karten- und Kegelspiel 5), die Teilnahme an Tänzen $) oder anderen Vergnügungen der Laien und das Konkubinat ”) untersagt. Sie dürfen sich nicht mit Wucher 8), Handel und sonstigen weltlichen Geschäften, wie Betrieb von Weinschenken abgeben °), keine Todesurteile aussprechen oder diesbezügliche Schriftstücke abfassen 1°), die herumvagierenden Geist- lichen und Scholaren, die sogar scharfe Waffen mit sich führen, nicht unterstützen !!) und müssen die Abgesandten des Bischofs würdig auf- nehmen und verpflegen 12). Besonders wird den Klostervorstehern die strengste Überwachung ihrer Untertanen bezüglich der Einhaltung der Ordensregeln aufgetragen 1°); ebenso wird der Abschluß von Geld- verträgen oder ähnliches bei der Aufnahme in ein Kloster verpönt 14).

Abgesehen von den Verordnungen über die andächtige Verrich- tung der geistlichen Funktionen nach dem vorgeschriebenen Ritus 1?) und der täglichen Betstunden 16) sowie über die feierliche Begehung bestimmter Feste 17) dürfen die Priester in der Regel nur eine Messe im Tage lesen !8), wobei ibnen Ministranten, jedoch keine weiblichen Per-

1) Sinnacher a. a. O. V, S. 28—30, 193—202. Tinkhauser a, a. O. 1853, S. 621—627 (34 Statuten).

2) Ders. a, a. O. 1853, S. 645—651, 673—680 (46 Statuten).

3) 1296 c. 6, 24, 25; 1318 c. 2, 43. Salzburg 1274 c. II; 1281 c. 5.

4) 1296 c. 6.

5) 1287 c. 1, 8; 1296 c. 21; 1318 c. 21. Salzburg 1274 c. 12; 1310 c. 1. 6) 1296 c. 24.

7) 1287 c. 4; 1296 c. ı, 26; 1318 c. 15. Wien 1267 c. 3.

8) 1287 c. 9; 1318 c. 20, Wien 1267 c. 8.

9) 1318 c. 20. 10) 1318 c. 17.

11) 1287 c. 5; 1296 c. 21; 1318 c. 45. Salzburg 1274 c. 16; 1310 c. 3. 12) 1296 c. 33.

13) 1318 c. 44. Salzburg 1274 c. I, 5; 1281 c. 7; 1310 c. 4.

14) 1318 c. 33.

15) 1296 c. 29. 16) 1296 c. 5. 17) 1318 c. 42. 18) 1318 c. 6.

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sonen dienen sollen !\. Sie werden daran erinnert, daß die Albe bis zur Erde reichen, der Altar mit der Palla versehen und wenigstens mit zwei Altartüchern bedeckt sein muß ?), daß sie die Hostien, die in der über dem Hauptaltar hängenden Pyxis aufzubewahren und wöchentlich zu erneuern sind, beim Meßopfer nur über dem Korpo- rale und der Patena zerteilen dürfen 3), endlich daß der Meßwein nicht sauer sein oder durch Most ersetzt, vielmehr mit drei Tropfen Wasser vermengt werden soll $) und daß die hl. Wandlung durch ein Glocken- zeichen anzuzeigen ist). Ferner wird den Seelsorgern die sichere und würdige Aufbewahrung des Allerheiligsten und des Chrismas, die Instandhaltung der Meßgeräte, Tücher, Ornamente, Missalien und son- stigen Utensilien 6), die Aussetzung der Reliquien nur in der Kapsel und nach erfolgter behördlicher Prüfung 7) sowie die unentgeltliche Spendung der Sakramente und Vornahme sonstiger kirchlicher Hand- lungen nahe gelegt). Zu ihren Pflichten gehört es auch, keinen Auf- schub der Taufe zu dulden, die Taufformel während des dreimaligen Eintauchens des Täuflings deutlich zu sprechen und sie gelegentlich der Sonntagsmesse dem Volke für den Fall der Nottaufe einzuprägen °), zur Gevatterschaft nicht mehr als drei Personen zuzulassen !°), die Beichte an keinem versteckten Platz der Kirche, aber auch nicht außerhalb